Sonntag, 8. August 2010

Ein Laecheln

Wie ein Blinzeln ist die erste Woche in der Heimat verflogen. Deutsches Bier. Ein Gespraech. Steak. Eine Umarmung. Kuchen. Ein Laecheln. Die Eindruecke prasseln auf mich ein, wie Tage zuvor der tropische Regen. Ich versuche alles so bewusst wie moeglich aufzunehmen, aufzusaugen, nichts zu verpassen. Die erste Nacht, alleine im Haus. Ich kann nicht einschlafen. Mein Kopf ueberdimensional gross, im naechsten Moment dreht sich mein Bett, bevor mein Kopf auf Miniaturgroesse schrumpft und wieder waechst, eine Szene jagt die andere, Gedanken schiessen durch den Kopf, Gefuehle springen von Synapse zu Synapse, bis meine Botenstoffe erschoepft sind, die Hetzjagd der Eindruecke vorbei ist und ich in den Schlaf sinke.

Zwei Stunden Zeitverschiebung, mehr als 5000 Flugkilometer, sechs einhalb Flugstunden, rein numerisch trennt Frankfurt nicht viel von Accra. Aber was fuer mich Accra von Frankfurt trennt laesst sich nicht messen. Wie soll man denn auch Heimatsgefuehle messen?

Heimat. Ueber dieses Wort hatte ich vor diesem Jahr nur vereinzelt nachgedacht. Was mich im Rueckblick auf mein Jahr und meine Erfahrungen doch sehr erstaunt. Meine Heimat, das war fuer mich selbstverstaendlich Dossenheim und Heidelberg. Aber warum, darueber hatte ich noch nie wirklich nachgedacht. Es mag mit Heidelbergs Schoenheit zusammenhaengen, denn die ist beeindruckend. Jetzt ist es als saehe ich Heidelberg zum aller ersten Mal. Das Schloss, die Hauptstrasse, die alte Bruecke, im Hintergrund das Gruen des Koenigstuhls. Heimat. Aber es ist nicht nur die Schoenheit Heidelbergs.
Nach vier Tagen gehe ich das erste Mal alleine Mountainbiken. Es ist frueher Abend, zuvor hat es geregnet. Das Gruen fasziniert mich, mal hell und unbekuemmert, mal dunkel und erhaben, zieht es an mir vorbei. Der Wald dampft, Sonnenlicht faellt durch das Blaetterdach aus Laub und Nadeln, vereinzelt fallen Wassertropfen auf die regennassen Blaetter, der Waldweg windet sich um den Berg hoch zu einer Gabelung, die zugleich ein Aussichtspunkt ist, von dort blicke ich ueber die Rheinebene. Ein Laecheln auf den Lippen, denn hier bin ich daheim.
Stadt und Natur. Doch Heimat ist mehr als das. Der erste Tag daheim verdeutlicht was Heimat ist: Familie und Freunde. Gegen nichts zu tauschen, unverkaeuflich und unantastbar. Karlheinz Deschner hat es trefflich ausgedrueckt als er sagte: "Heimat ist nicht dort, wo man wohnt, sondern wo man liebt und geliebt wird."

Sieben Tage rauschen an mir vorbei, reissen mich mit und lassen mir kaum einen Moment um eben den Moment zu geniessen. Sieben Tage bin ich wie aufgedreht und aufgepumpt, spaet ins Bett, frueh raus, lesen, Wohnung aufraeumen, Sport machen, Leute treffen. Als haette ich meine ueber das Jahr nur zu Teilen genutzte Energie unbegrenzt zur Verfuegung. Alles aufnehmen, aufsaugen, bewusst wahrnehmen und geniessen. In diesen sieben Tagen bin ich unersaettlich, geradezu gierig, alles koennte noch mehr sein, schneller, intensiver, aufregender, dabei ist es all das schon. Sieben Tage Leben in vollsten Zuegen, bis ich zum Nachbereitungsseminar aufbreche.

Das Rauschen der ersten Woche ist vergangen. Die zweite Woche ist gepraegt von Kuschelpaedagogik und gefuehlsbetonten Gruppensitzungen auf Matratzen. Jeder soll berichten und im Umkehrschluss soll jeder zu hoeren. Ich will weder das eine noch das andere. Auch wenn meine Skepsis sich nicht vollstaendig legt, letzten Endes ist das Seminar sinnvoll und gut. Ich lerne Mattes und Rafael kennen, dafuer bin ich dankbar. Allein dafuer hat sich das Nachbereitungsseminar gelohnt. An Zufall glaube ich nicht und Schicksal ist ein schweres, wuchtiges Wort, aber an das Gute und den Sinn daran mag ich gerne glauben.

Es ist endgueltig zu Ende gegangen. Ich bin vom Nachbereitungsseminar zurueckgekehrt. Ich bin kein Freiwilliger mehr, ich bin frei. Darin steckt Genugtuung, Zufriedenheit. Nicht mehr die Ekstase der Glueckseligkeit, die ich vor wenigen Tagen beim ersten Mal Mountainbiken spuerte. Keine Adrenalinkicks, sondern eine innere Ruhe. Ein stilles Laecheln. Das spuere ich jetzt.
Vom Nachbereitungsseminar kehre ich ruhiger zurueck, auch ein wenig erschopeft. Jetzt empfinde ich das Leben in Deutschland ein wenig anstrengend, energieraubend. Jetzt wird es mir wieder dringlich bewusst, ein Jahr. Die Zeit als Freiwilliger ist zu Ende. Eine lange Reise liegt hinter mir, von der Online-Bewerbung zum Nachbereitungsseminar und dazwischen unzaehlige Momente, die mich sehr gepraegt haben und noch immer beschaeftigen.

Was jetzt kommen wird? Studium. Politisches Engagement in irgendeiner Form. Viel Schreiben.

Bevor ich mit diesem Blogeintrag, meinem letzten im Zusammenhang mit meinem Freiwilligendienst, mein Freiwilligenjahr persoenlich beende, moechte ich allen danken, die waehrend des Jahres jeden Blogeintrag gelesen haben, die fast jeden Blogeintrag gelesen haben, die sporadisch mal einen Blogeintrag gelesen haben. Ich moechte allen danken, die an mich gedacht und mich unterstuetzt haben.

Schliessen moechte ich mit einem Zitat von Antoine De Saint-Exupery:
"Ein Laecheln ist oft das Wesentliche. Man wird mit einem Laecheln belohnt oder belebt."