Mittwoch, 16. Dezember 2009

Identitaet

Alle hier geschilderten Erlebnisse und Erfahrungen sind als exklusive Ereignisse zu betrachten, es handelt sich hierbei um meine persönlichen und nicht verallgemeinerbaren Erfahrungen, die keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit haben. Im folgenden Blogeintrag moechte ich thematisieren was es fuer mich bedeutet, als junger, weisser Deutscher in Ghana zu sein. Deshalb moechte ich hiermit noch einmal nachdruecklich darauf verweisen, dass es meine Erfahrung sind, die in keiner Weise als genereller Massstab gelten koennen, denn durch Gespraeche mit anderen Freiwilligen ist mir bereits klar, dass nur wenige vergleichbare Erfahrungen gemacht haben.

Als Weisser in Ghana zu weilen ist nicht immer unbeschwert und heiter, denn neben staendigen Obroni-Rufen wahlweise auch Obrofo (bedeutet eigentlich Englaender wird jedoch mit Weisser gleichgesetzt), die teilweise kindlich, goldig sein koennen, oder auch penetrant nervig, ist man noch anderen Situationen ausgesetzt, die durchaus unangenehm werden koennen.
Als eine solche unangenehme Situation empfinde ich bspw. das Fragen nach meiner deutschen Adresse, die moeglichst fuer einen Visumsantrag verwendet werden soll, partiell bereits von so kleinen Kindern, dass ich mich frage: Begreifen sie ueberhaupt die Tragweite ihrer Frage, und wer hat ihnen diese Fragen beigebracht?
Als nicht ganz so unangenehm, aber nicht weniger anstrengend empfinde ich das staendige "Betteln", das oftmals nicht einmal ernst gemeint ist. Insbesondere die Kinder fragen schlichtweg aus Prinzip den Weissen, ob er ihnen nicht Wasser, Essen, Geld, Computer, Spielzeug oder seine Kamera schenkt, unabhaengig davon, ob sie Hunger oder Durst haben, das Geld brauchen oder nicht, darum geht es nicht, es geht darum den "reichen Weissen" darum zu bitten.
Eine weitere Situation in der meine Hautfarbe eine uebermaessige Rolle spielt sind Trotro/Taxifahren und vor allem Einkaeufen (Lebensmittel ausgenommen) bei denen ich stets damit rechnen muss, dass von mir ein deutlich hoeherer Preis verlangt wird als von Ghanaern, sodass ich selbst nach intensivem Handeln noch immer mehr als den normalen Preis zahle. Haeufig aendern Ghanaer, im Glaube ich verstaende ueberhaupt kein Fanti, die Preise direkt in meinem Beisein und versuchen ganz offensichtlich von mir einen unangemessen hohen Betrag zu verlangen, aber mit mir kann man das ja machen, denn ich bin ja weiss und somit reich(Ironie!). Was mich wirklich daran stoert ist nicht, dass ich mehr zahle als Ghanaer, das kann ich nachvollziehen und bin dementsprechen bereit es zu tun, was mich veraergert ist die Dreistigkeit mit der vorgegangen wird.

Damit jedoch ist nahezu jeder Weisse konfrontiert, was also macht meine Nationalitaet so prekaer. Ganz einfach: Hitler, das NS-Regime, der juedische Holocaust, der Zweite Weltkrieg, der ganze geschichtliche Ballast, den jeder Deutsche wie einen unsichtbaren Rucksack mit sich traegt, ob er will oder nicht. Aber darueber hinaus spielt auch eine grosse Rolle wie sich Deutschland heutzutage praesentiert. Viele Ghanaer, die sich bereits in Deutschland aufgehalten haben, berichten, dass Deutschland als Land keine Auslaender moege und, dass Deutschland als Land vor allem keine Schwarzen moege, denn sie haben es ja selbst erlebt. Einige Beispiele an Situationen mit denen Enrico, Bugs und ich insbesondere in den ersten drei Monaten konfrontiert wurden, sollten verdeutlichen was mich dazu bewegte diesen Eintrag zu schreiben:

Enrico und ich wohnten einmal dem Montagsabendgottesdienst der Pentecost Church bei, der von Priesterin Mama Georgina geleitet wurde. Nach dem Gottesdienst stellte unsere Gastmutter uns in kleiner Runde vor, als Enrico und ich unsere deutsche Herkunft auf Nachfrage eroeffneten, war Georginas unmittelbare Reaktion: "Your country doesn't like black people." Sie fuhr fort, sie sei selbst schon da gewesen und habe es selbst erfahren, ueberall habe sie sich ausweisen muessen, staendig sei sie ueberprueft worden. Und ihrere Auffassung nach sei das ein Zeichen fuer den in Deutschland vorherrschenden Rassismus.
Enrico hatte waehrend einer Trotro-Fahrt das folgende Gespraech: Ghanaer: "Obroni, I like you, where are you from?" Enrico: "I'm from Germany" Ghanaer: "Oh, I don't like you."
Beim zweiten Fussballtraining an dem wir ueberhaupt teilnahmen fragte uns Frank, warum Deutsche keine Schwarzen moegen. Wenige Tage spaeter berichtete Osei uns, dass einer seiner Onkel in Deutschland gewesen sei, aber mittlerweile zurueck, da Deutsche keine Auslaender moegen.

Natuerlich reagieren nicht alle Ghanaer so, ohne Zweifel begegnet die grosse Mehrheit mir sehr freundlich, unabhaengig davon welche Nationalitaet ich habe und selbst die Ghanaer mit schlechten Deutschlanderfahrungen legen mir persoenlich gegenueber ein nicht minder freundliches Verhalten an den Tag.
Eine besondere Freude sind Begegnungen mit Ghanaern, die nur auf Heimatbesuch sind, weil sie mittlerweile in Deutschland wohnen und dementsprechend positiv gegenueber Deutschland und mir als Deutschem eingestellt sind. Bspw. waren Bugs, Enrico und ich wenige Tage vor meinem Geburtstag in Asikuma gerade auf dem Weg zur Trotrostation um nach Ajumako zurueckzukehren, als mir jemand aus einem passierenden Pick-Up zurief: "Wie geht's?", meinem Erstaunen zum Trotz rief ich ein schnelles froehliches "Gut!" zurueck. Der Wagen hielt daraufhin an und der Beifahrer stieg aus und stellte sich uns auf deutsch vor. Vincent, der eigentlich in Hamburg wohnt (aber auch sehr viel in Deutschland herumreist und deshalb alle unsere Heimatstaedte und zu Enricos Freude insbesondere Karlsruhes Schlosspark recht gut kannte) und hier in Ghana mit Pflanzenstoffen fuer Medikamente Geschaefte macht, erklaerte sich ohne Zoegern bereit uns mit nach Ajumako zu nehmen, so dass Enrico noch im Fuehrerhaeusschen Platz nahm, waehrend Bugs und ich es uns auf der Ladeflaeche gemuetlich machten.

Wie diese Ankedote zeigt werden wir auch mit explizit positiven Deutschlanderfahrungen konfrontiert, aber dennoch eine beachtliche Zahl ist leider negativ und diese Ereignisse bleiben in lebendiger Erinnerung und jedes Mal, wenn ich nach meiner Herkunft gefragt werde, zoegere ich einen Moment bevor ich meine Antwort gebe um dann die Reaktion zu erwarten. Dem Warten folgt meist die kleine Erleichterung, dass der Gegenueber nichts Schlechtes sagt, was mich wieder in eine verteidigende Position zwaenge. Um Missverstaendnissen vorzubeugen moechte ich deutlich sagen, dass ich jederzeit bereit bin meine Herkunft zu verteidigen und tue das mit der angemessenen Vehemenz und Dringlichkeit schliesslich bin ich stolz auf meine Wurzeln, doch es ist ermuedend und manchmal auch frustrierend gegen Windmuehlen zu kaempfen, deshalb bin ich immer wieder erleichtert, wenn mein Gegenueber mir keine negativen Erfahrungen mitteilt.

Gespraeche bzgl. Negativerfahrungen sind haeufig frustrierender Natur, denn bei der Diskussion darf man die kulturellen Unterschiede zwischen Ghanaern und Deutschen nicht ausser Acht lassen, das wiederum bedeutet immer wieder von Neuem gegen Windmuehlen anzutreten. Die unterschiedliche kulturelle Praegung soll natuerlich nicht als Entschuldigung gelten, aber koennte es sein, dass Ghanaer die deutsche rauhe Mentalitaet falsch deuten? Koennte es sein, dass Ghanaer kein Verstaendnis dafuer haben, dass Deutsche aufgrund von Hektik und Zeitdruck kurz angebunden, harsch, unfreundlich wirken koennen und das als rassistisches Merkmal werten? Koennte es sein, dass sie durch ihr hautfarbe-bedingtes Auffallen in einer weissen Mehrheitsgesellschaft verstaerkt auch auf Kleinigkeiten sehr sensibel achten? Koennte es sein, dass der deutsche Beamtenapparat mit seiner Buerokratie und haeufigen Ausweiskontrollen als rassistische Schikane wahrgenommen wird, und nicht als deutsches Beamtentum, womit sich auch weisse Deutsche herumaergern muessen?

Allen kulturellen Unterschieden zum Trotz empfinde ich, wann immer ich mit solchen Negativerfahrungen konfrontiert werde, tiefe Betroffenheit und werde auch traurig, aber nicht aufgrund der vergangenen Schreckenstaten der NS-Herrschaft, denn auch wenn es ein unweigerlicher Teil meiner Identitaet als Deutscher ist, so habe ich weder eine persoenliche noch eine kollektive Schuld fuer die ich zu suehnen habe.
In diesen Situationen bin ich betroffen und traurig, weil ich nicht mit Absolutheit sagen kann, dass kein Deutscher Schwarze hasst, denn schlieslich gibt es noch immer latenten und offenen Rassismus, schlieslich gibt es noch immer zu viele NPD-Waehler, schlieslich gibt es noch immer zu viele Uebergriffe auf Minderheiten.
Ich bin betroffen und traurig, weil es ein aussichtsloser Kampf zu sein scheint Ghanaern zu erklaeren, dass ich selbst doch auch Deutscher bin, aus einer Generation, die Rassismus zu aller groessten Teilen ablehnt und verurteilt, dass ich doch hier in Ghana bin, mit dem Deutschen Entwicklungsdienst, gerade, weil ich ein anderes Deutschland repraesentiere, eines das allen Menschen unabhaenig von Farbe und ethnischem Hintergrund offen gegenuebersteht, eines das aus der Geschichte gelernt hat.

Aus dieser Ueberzeugung heraus reagierte ich zu Beginn in erster Linie mit Unglauben und einer nahezu absoluten Sicherheit, dass es sich um Einzelfaelle und Uebertreibungen handeln muss, doch ich zweifle immer mehr: Bin ich in einem anderen Land aufgewachsen, als von dem da berichtet wird? Uebertreiben die Ghanaer in ihren Erzaehlungen? Welche Ghanaer haben tatsaechlich negative Erfahrungen gemacht und welche reproduzieren nur bereits gehoertes? Kann man als weisser Deutscher ueberhaupt nachempfinden was Schwarzen in Deutschland widerfaehrt? Herrscht vielleicht doch ein unbewusster, latenter Rassismus oder auch offensichtlicher, den man als Weisser nicht einmal erahnen kann oder will? Streitet man schon die Moeglichkeit des Rassismus ab, weil es ein zutiefst unbequemer Gedanke ist? Ist es nicht auch bequem, die Opferrolle einzunehmen und zu sagen: "nur weil ich schwarz bin"? Wird das Thema zu wenig beachtet? Oder im Gegenteil hochstilisiert? Wann wird eine Ansammlung von Einzelfaellen zum Regelfall? Sind jene, die sich rassistisch behandelt fuehlten, aufmerksamkeitheischende, laestige Querulanten? Oder sind jene, die sich nicht zu Wort melden, angepasste, unterwuerfige Onkel Toms?

Rassismus in der deutschen Sprache

Bereits von Anfang an haben Bugs, Enrico und ich die sich uns praesentierenden Gegebenheiten zum Anlass fuer Wortspielereien und Scherze genommen. Aus ersichtlichem Grund spielte dabei das Wort 'schwarz' eine nicht unwesentliche Rolle; durch das Vorbereitungsseminar sensibilisiert haben wir die Wortwitze stets im vollen Bewusstsein unserer politischen Unkorrektheit gemacht, diese Art des Humors wurde allerdings nicht von allen Freiwilligen als lustig empfunden, selbst wenn einige Scherze davon definitiv politisch korrekt waren. Ich und auch meine beiden Mitbewohner sind jedoch nach wie vor der Meinung, dass ein humorvoller Umgang selbst bei einem solchen Thema moeglich ist; auch wenn mir die Autorin (Noah Sow) des Buches "Deutschland Schwarz Weiss - Der alltaegliche Rasssismus" vehement widerspraeche. Angeregt durch unsere Wortspiele und auch nicht zuletzt durch die Lektuere des erwaehnten Buches moechte ich im folgenden Blogeintrag einige Formulierungen aus unserem alltaeglichen Sprachgebrauch in eine kleine fiktive Geschichte integrieren. Welche der Formulierung tatsaechlich einen rassistischen Hintergrund haben bzw. eine rassistische Konnotation moechte ich nicht entscheiden, sondern jedem Leser die Gelegenheit geben sich selbst ein Urteil zu bilden. Kommentare und Kritik sind wie immer willkommen.


Jemand musste Ebenezer F. angeschwaerzt haben, denn ohne dass er etwas Boeses getan haette, wurde er morgens durch laermiges Treiben geweckt. Sah er darin noch keinen Grund sich schwarzzuaergern, sollte sich bald herausstellen, dass dies der Start eines allzu schwarzen Tages werden sollte.
Als leitender Angestellter der lokalen Trotro-Gesellschaft ist er auf seinen Schlaf angewiesen, denn seine Verkehrsprognosen und Fahrplanvorhersagen muessen stets ins Schwarze treffen. Nur zu gern schiebe der Vize-Direktor ihm den schwarzen Peter zu, wenn sich durch schlechte Fahrplaene wieder einmal zu viele Fahrgaeste gezwungen sehen schwarzzufahren. Doch Ebenezer ist ein gewissenhafter Angestellter, er erscheint stets puenktlich zur Arbeit, so wie es schwarz auf weiss im Arbeitsvertrag geschrieben steht.
Dieser verhaengnisvolle Morgen jedoch erweist sich als Stolperstein, statt des ueblichen Schwarzbrots serviert ihm seine Vermieterin Frau Mensah 'Negerkuesse', oder 'Mohrenkoepfe' wie sie zu sagen pflegt, sie hat eine seltsame Art schwarzen Humors. Selbst auf den morgendlichen Tee muss er verzichten, denn bei einem Black-Out kann auch der Wasserkocher nicht funktionieren.
Gerade als er die Wohnung verlassen moechte, wirft er einen fluechtigen Blick auf das schwarze Brett. Was sieht er da? Jemand bietet seine koerperlichen Dienste in Form von Schwarzarbeit an. Doch mit derartigen Gedanken will er sich nicht aufhalten, er muss ins Buero gelangen, schliesslich soll die Gesellschaft weiterhin schwarze Zahlen schreiben.
Will er eine unentschuldbare Verspaetung vermeiden muss er wohl das naechste Taxi waehlen. Aber wie durch schwarze Magie scheinen keine Taxen zu fahren, soll er etwa warten bis er schwarz wird? Kurz bevor Ebenezer F. beginnt schwarzzumalen, kommt tatsaechlich ein Taxi zum Stehen. Ohne langes Zoegern steigt er zu, waehrend der Fahrt stellt er zu seinem Missfallen fest, dass die Lizenz des Fahrers abgelaufen ist, wie hoch wohl die Dunkelziffer solcher Delikte sein mag? Moeglicherweise handelt es sich in diesem Fall auch um ein vereinzeltes schwarzes Schaf, wer kann das schon wissen. Die routinemaessige Polizeikontrolle besteht man dank eines kleines Scheines, ob der wohl auf das Schwarzgeldkonto fliesst?
Nach kurzer Fahrt erreichen sie das Buerogebaeude, die laestige Verhandlung um den Fahrpreis opfert er mit Vergnuegen dem Primat der Zeit. Bereits beim Durchschreiten der Lobby spuert Ebenezer die elektrisierte Stimmung, die alle Stockwerke des gesamten Gebaeudes erfasst hat. Beim Verlassen des Fahrstuhls wird er augenblicklich der Atmosphaere gewahr, jegliche Ordnung scheint zu fehlen, es geht zu wie auf dem Schwarzmarkt, Fahrplaene werden verscherbelt, anstatt ordnungsgemaess verteilt. Unbemerkt kann er sein kleines Eckbuero erreichen und dort mit Hilfe des Blackboards seine Gedanken ordnen. Die Tumulte draussen kann er trotz seiner hoeheren Position nicht beeinflussen, er koennte eben so gegen ein schwarzes Loch antreten, die Erfolgschancen schaetzt er vergleichbar gering ein.
Gluecklicherweise nimmt die neue Blackbox alle Gespraeche auf, vielleicht kann im Durcheinander der Besitzer der schwarzen Witwe, die seit Wochen die Belegschaft in Angst und Schrecken versetzt, ausfindig gemacht werden. An jenem Tag aber sieht Ebenzer fuer dieses Unterfangen schwarz, denn ihm will einfach nichts gelingen. Resigniert stellt er fest, dass die gesamte Belegschaft in der Kaffeepause (der Kaffee wird schwarz getrunken) geschlossen 'Wer hat Angst vorm schwarzen Mann' spielt.
Am Abend verlaesst er muede und abgekaempft das Buero, an diesem Tag hat er nicht einmal Lust sich mit Frl. Boaful eine schwarze Komoedie anzusehen. Zu Hause faellt er in einen unruhigen Schlaf, waehrend um ihn herum sich das Schwarz der Nacht ausbreitet.

Wird das Thema ueberwertet? Wie wuerde man sich selbst als betroffene Person fuehlen? Sind negative Assoziationen mit der Farbe Schwarz durchweg auf Rassismus zurueckzufuehren? Sind einige der verwendeten Formulierung rassistisch? Gibt es alternative Ausdrucksmoeglichkeiten? Warum nutzt man diese nicht, sondern artikuliert sich in solch ueberholter Weise? Sind Worte nicht Macht? Sollten Worte nicht mit groesster Behut- und Achtsamkeit gewaehlt werden?

Montag, 14. Dezember 2009

Beginnen moechte ich mit einer kleinen Danksagung an jene, die an meinen Geburtstag gedacht haben, ich habe mich sehr ueber alle Nachrichten und Anrufe gefreut. Alle die nicht daran gedacht haben, macht auch nichts, habe naechstes Jahr wieder Geburtstag.

Durch die Einkehr einer gewissen Routine in die letzten Tage, moechte ich an dieser Stelle nicht weiter auf die einzelnen vergangenen Tage und die verschiedenen Aktivitaeten in den unterschiedlichen Kids und Youth Clubs eingehen, sondern eine kleine Vorausschau und Erklaerung fuer die folgenden Blogeintraege geben.

Da Bugs, Enrico und ich am 17. Dezember zu unserer Togo-Benin-Reise aufbrechen, werde ich auf unbestimmte Dauer aller Wahrscheinlichkeit nach keine Moeglichkeit haben Blogeintraege zu schreiben, geschweige denn zu veroeffentlichen. Vor Beginn unserer Reise werde ich zur Ueberbrueckung meiner Abwesenheit zwei Eintraege veroeffentlichen, die nicht unbedingt weihnachtliche Stimmung verbreiten werden, doch das war auch nicht meine Intention. Vielmehr moechte ich einige, vielleicht auch unbequeme Fragen stellen. Die beiden Eintragen sind zwar durch die zu Grunde liegende Thematik miteinander verbunden, aber grundsaetzlich als separate Eintraege aufzufassen. Kommentare, Kritik, Diskussionen sind sehr willkommen und auch gewuenscht.

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Realitaeten

Im folgenden Blogeintrag soll ein bisher geringfuegig beachteter Aspekt des Freiwilligendienstes thematisiert werden, das Fehlen des Heimischen, das dadurch moeglicherweise entstehende Heimweh, die gefuehlte Einsamkeit und wie Freiwillige mit solchen Schwierigkeiten umgehen. Die nachfolgende Zusammenstellung bezieht sich zu grossen Teilen nicht auf meine eigene Person, sondern sind Beobachtungen und Eindruecke, die ich bei und mit anderen Freiwilligen gesammelt habe; hierbei soll vordergruendig keine Wertung, sondern in erster Linie eine Darstellung und Analyse erfolgen.

Ein jeder Freiwilliger handhabt die durch das Weilen in der Fremde entstehenden Belastungen auf seine ganz eigene, persoenliche Art. Die meisten Projektstellen sind durch mehrere Freiwillige besetzt, die dementsprechend auch eine Wohngemeinschaft bilden, und selbst Einzelplaetze haben durch die Gastfamilie meist Gesellschaft, was zur Folge hat, dass man zwar nur in den seltensten Faellen alleine ist, aber dennoch Einsamkeit verspuert. Denn die blosse Anwesenheit einer anderen Person bedeutet nicht, dass das Verhaeltnis so exzellent ist, dass die Art familiaerer Intimitaet geschaffen werden kann, die notwendig waere um jegliche Einsamkeit zu verhindern. Besonders schwer zu tragen haben die Freiwilligen, deren Beziehung durch den Auslandsaufenthalt zu einer Fernbeziehung wird, was, wie sich bisher zeigt, nicht fuer alle Beziehungen positiv verlaeuft.

Konfrontiert mit den unterschiedlichen Anforderungen ihres Jahres entwickeln Freiwillige diverse Mechanismen um die Zeit positiv zu gestalten. Waehrend einige einen Teil ihrer wohlbehueteten familiaeren Welt mit sich nahmen, um sie hier vor Ort aufzubauen, indem sie unzaehlige Fotos von Freunden und Familie anbringen, gibt es wiederum andere, die die sich ihnen praesentierende Realitaet auf ganz andere Weise meistern. Seine Umgebung, seinen Wohnraum, das eigene Zimmer zu gestalten muss nicht bei Fotos enden, auch durch Sprueche, Poster oder Malereien an den Waenden, koennen die Erfahrungen verarbeitet werden und zugleich ein Stueck heimatlicher Atmosphaere erzeugt werden.
Ueber den Wohnraum hinaus gibt es andere Methoden, ein probates Mittel scheint das Internet zu sein, durch das Grenzen und Entfernungen verschwinden und die Heimat durch einen einzigen Mausklick erreichbar wird. Da der virtuelle Kontakt in Form von Emails, Blog, sozialem Netzwerk, Forum oder Nachrichtenseite jedoch zeitlichen und finanziellen Einschraenkungen unterworfen ist, handelt es sich hierbei nur um eine temporaere Milderung oder Verschleierung der Tatsachen, die betreffende Person jedoch bleibt letzten Endes weiterhin mit der unabaenderlichen Wirklichkeit konfrontiert. Eine elementare Voraussetzung fuer den virtuellen Heimatbesuch ist der Gegenpart in Deutschland oder einem anderen Land, der aktiv an der Korrespondenz teilnimmt und nicht nur empfaengt, sondern auch sendet, denn erst der Dialog ermoeglicht dem Freiwilligen den Zugang zum heimischen Umfeld.
Wer der virtuellen Methode ueberdruessig geworden ist oder sich durch genannte Einschraenkungen gezwungen sieht aus dem virtuellen Netz zu steigen kann durch die intensive Lektuere fantastischer Romane das literarische Tor zu einer vollkommen anderen Welt aufstossen und sich dadurch der realen entziehen. In Kombination mit den Buechern kann bei Bedarf durch das Abspielen der Lieblingsmusik eine Atmosphaere erzeugt werden, die sich als sehr hilfreich erweist um die aeusseren Umstaende zu vergessen.
Wem auch die Buecher oder Musik nicht weiterhelfen, der kann durch ausgedehnte Telefongespraeche mit Freunden und Familie der Umgebung entkommen und ein Stueck deutsche "Normalitaet" erfahren.

Insbesondere an Wochenenden scheinen sich Freiwillige nach Vertrautem zu sehnen, was zur paradoxen Situtation fuehrt, dass Freiwillige, die das Exotische suchen und sich ueber zu grosse Zahlen von Weissen in ihren Wohnorten beschweren, gleichzeitig mit einer betraechtlichen Anzahl anderer weisser Freiwilliger umgeben und am Wochenende feiern gehen. Bei diesen Gelegenheiten bietet es sich zudem an durch verschiedenste Genussmittel sich die Wirklichkeit zu verschoenern.

Das einende Element der beschriebenen Verhaltensweisen ist das Schaffen eines Rueckzugraums, eines Fluchtorts, der aufgesucht werden kann, wenn Geborgenheit fehlt, wenn die Realitaet zu harsch wird, wenn die Einsamkeit zunimmt.

Bei jedem Besuch eines Internetcafes, jedem Telefonanruf nach Deutschland, jedem Roman, jeder Feier etc. gleich auf Realitaetsflucht zu schliessen waere jedoch voreilig und nicht zutreffend, denn schlieslich ist der Austausch mit Deutschland oder auch anderen Freiwilligen ein elementarer Bestandteil des interkulturellen Austauschs, der das Kernstueck des Programms "weltwaerts" bildet. Die Grenzen zwischen "normalem" Austausch und der Realitaetsflucht sind nicht klar gesteckt, allerdings lassen nur wenige Freiwillige Selbstreflexion und Selbstkritik hinsichtlich dieses Themas erkennen, so dass sie oftmals unbewusst zwischen den Sphaeren wandeln. Ausschlaggebend ist das Mass in welchem der/die Freiwillige die genannten Moeglichkeiten nutzt, dabei muss auch in Betracht gezogen werden, dass jede/r ein ganz individuelles Beduerfnis nach Heimatkontakt hat, weshalb keine absoluten Zahlen festlegen koennen wo die Realitaetsflucht beginnt. In jedem Fall kann Kontakt nicht mit Realitaetsflucht gleichgesetzt werden, denn es steht ausser Frage, dass die Zeit des Auslandsaufenthalts sehr fordernd sein kann und jede/r sich in einer Lage wiederfinden kann, in der Unterstuetzung aus der Heimat sehr willkommen ist. Nichtsdestotrotz kann an den aufgezaehlten Verhaltensweisen durchaus gerechtfertigte Kritik aufkommen, denn manchmal so scheint es, wird das eigentlich Ziel, die interkulturelle Interaktion, der Austausch mit Ghanaer dadurch zu stark in den Hintergrund gedraengt.

Persoenlich habe ich im Schreiben einen Weg gefunden, durch den es mir gelingt eine Distanz zum Erlebten aufzubauen, was die Analyse und das Verarbeiten meiner Erfahrungen erleichtert und mich stets zur Selbstreflexion zwingt. Durch das aktive schriftliche Auseinandersetzen mit meinem Alltag kann ich mich diesem entziehen und einen neuen Blickwinkel erlangen.
Nur kurze Zeit bevor mein Aufenthalt in Ghana begann, war der amerikanische Praesident Barack Obama fuer einen zwei-taegigen Besuch (10.-11.7.09) hier gewesen, wodurch seine zuvor bereits grosse Popularitaet als erster schwarzer Praesiedent der USA unter den Ghanaern noch einmal deutlich gesteigert wurde. Anlaesslich seines Besuchs in Cape Coast wurde eine immense Zahl an Gruss- und Willkommensplakaten in und um die gesamte Stadt herum angebracht, die auch Monate spaeter noch immer unveraendert jeden Besucher der Stadt an diesen historischen Moment erinnern. Da auch noch eine grosse Anzahl von Wahlplakaten aus dem Jahr 2008 in den meisten Ort zu sehen sind, bin ich der Ueberzeugung, dass auch Praesident Obama mir noch lange Zeit von den eigentlichen Werbeflaechen zu laecheln wird. Der Besuch des Praesidenten und vor allem die zu erwartenden Folgen sollte noch Wochen spaeter in den verschiedenen Radio- und TV-Programmen diskutiert werden. Dabei erweckte es fuer mich den Eindruck, als setzten die Ghanaer sehr viel, moeglicherweise zu viel, Hoffnung in die kurze Stippvisite. Die Begeisterung fuer Praesident Obama schlaegt sich ungebrochen in den verschiedensten Formen nieder, zum einen in den erwaehnten Radio- und TV-Programmen, zum anderen in allen Moeglichen Artikeln deren Verpackungen sein Konterfei oder sein Namenszug zieren. Es gibt Obama-Kekse, USA-Faehnchen mit seinem Portraet aufgedruckt, T-Shirt, Hemden, Heftumschlaege und auch von der Kunststofftuete der Apotheke gruesst der amerikanische Praesident.

Samstagmorgen (21.11.) machten wir uns direkt nach dem Fruehstueck auf den Weg ueber Mankessim und Cape Coast nach Efutu-Mfuom um die dortige Straussenfarm zu besichtigen. Die Farm bestand aus drei Gehegen fuer 15 Voegel. Alle noetigen Erklaerungen zu den Tieren, deren Versorgung und Unterbringung beantwortete uns der freundliche Farmmitarbeiter Isaac. So erfuhren wir bspw. warum Strausse manchmal den Kopf in den Sand stecken: Strausse, normalerweise im suedlichen Afrika in Wuestenregionen beheimatet, schlucken zur Unterstuetzung ihrer Verdauung kleine Steine, diese findet der Strauss in seiner natuerlichen Umgebung, aber erst unter der Wuestensandoberflaeche, weshalb er auf der Suche nach den Verdauungskatalysatoren den Kopf in den Sand steckt. Mit einer Schutz- oder Verstecksuche hat es also entgegen der weitlaeufigen Meinung nichts zu tun. Die 15 Exemplare, der von uns besichtigten Farm, stammen urspruenglich aus Simbabwe, dort gelten lediglich Loewen als ihre natuerlichen Feinde, wobei selbst diese Schwierigkeiten beim Jagen der Voegel haben, denn ein Strauss kann laut Isaac eine Maximalgeschwindigkeit von 70 km/h erreichen. Vor ein paar Jahren war die Farm noch an einer anderen Stelle gelegen, mit einem zusaetzlichen Affengehege und einem angegliederten Restaurant, in dem man Straussenei-Omelette oder auch Straussensteak geniessen konnte, durch eine Erhoehung der Pachtgebuehr sahen sich die Betreiber der Farm jedoch gezwungen die Farm auf neu erworbenes Gelaende umzusiedeln. Seitdem befindet sich das neue Restaurant im Aufbau und soll im kommenden Jahr fertiggestellt werden. Zu unserer kleinen Enttaeuschung erfuhren wir, dass die Affen den Umstand des Fehlens eines angemessenen Geheges genutzt hatten und davon gelaufen waren, weshalb wir nur mit den Straussen Vorlieb nahmen.

Abends war es an der Zeit uns bei Hannah und Larissa (Freiwillige aus Asikuma) fuer eine Einladung zu revanchieren, sodass wir die beiden zu uns einluden und einen feucht froehlichen Abend feierten. Scheinbar hatten wir, trotz des ein oder anderen unreifen, albernen Kommentars oder Spiels, einen einigermassen guten Eindruck als Gastgeber hinterlassen, so dass wir im Gegenzug eine Einladung fuer Dienstag zu einen DVD-Abend bekamen, die allerdings nur Bugs und ich annahmen, da Enrico nicht auf die Dienstagsspiele der Champions League verzichten wollte. Bugs und ich hingegen verbrachten nur zu gerne den Abend in angenehmer Gesellschaft.

Am darauffolgenden Tag (Mittwoch) fuhren Bugs, Enrico und ich nach Accra um die noetigen Visa fuer unsere Togo-Benin-Reise zu beantragen. Erfolgreich waren wir nur in der togolesischen Botschaft, denn die fanden wir auf Anhieb. Die beniner Botschaft, deren Adresse wir uns aufgeschrieben hatten, war jedoch wider erwarten nicht dort anzutreffen, bei der gut einstuendigen Fahrt durch das Botschaftsviertel stellte sich heraus, dass meine Strassenkenntnisse durch die vielen Arztbesuche teilweise sogar die des Taxifahrers uebertrafen, was allerdings leider nicht weiter hilfreich war bei der vergeblichen Suche nach der Benin-Botschaft. Nachdem wir irgendwann an der Botschaft der Elfenbeinkueste gestrandet und unserem eigentlichen Ziel nicht naeher gekommen waren, entschlossen wir uns aufgrund der fortgeschrittenen Stunde den Rueckweg nach Ajumako anzutreten. Den Rettungsanker fuer unsere Stimmung stellten die Flughunde dar, die in Massen sowohl ueber der Botschaft der Elfenbeinkueste als auch ueber dem Military Hospital kreisten. Endgueltig gerettet war der Tag als wir abfahrtbereit wartend im Trotro sassen und eine Marktverkaeuferin freudig laut verkuendete: "Obroni in Ghana!" und daraufhin ein weiterer Marktverkaeufer sich dazugesellte um uns aufzuklaeren: "Obroni in Ghana, Westafrica!", da konnten wir uns dem Lachen nicht mehr erwehren.

Oftmals finde ich mir hier in Situationen wieder, in denen ich genau weiss was ich tun muss, wohin ich gehen muss oder was ich zu erwarten habe, das haelt allerdings viele Ghanaer nicht davon ab mir dennoch mit ihrer Meinung nach hilfreichen, dringend notwendigen Informationen helfend zur Seite zu stehen. Diese ueberwaeltigende Hilfsbereitschaft kann zuweilen Formen annehmen, dass fuer mich der Eindruck entsteht, als ob Ghanaer mich als hilflos betrachten, was zur Folge hat, dass mir selbst bei Kleinigkeiten geholfen werden muss. Ist der Grundgedanke zwar zutiefst altruistischer Natur, so erscheint er mich doch manchmal zu entmuendigen.

Freitag war fuer uns ein freier Tag, den wir unseren muslimischen Mitbuerger, die ungefaehr 15 % der Gesamtbevoelkerung ausmachen, verdankten, denn der Eid-El-Adha, an dem, so erklaerte uns einer unser Lehrer, Allahs Gnade gegenueber Abraham gefeiert wird, ist hier ein staatlicher Feiertag. Zufaelligerweise markierte dieser Freitag zugleich auch die Vollendung unseres vierten Monats, diesen Anlass mussten wir natuerlich gebuehrend feiern. Deshalb luden wir uns Hannah und Larissa aus Asikuma und Inken aus Elmina zum Picknicken ein. Bei dieser Gelegenheit zeigten wir uns diesmal von unser besten Seite was uns eine Einladung fuer Sonntag einbrachte, die aber nur ich annahm, denn Bugs hatte keine Lust Schwimmen zu gehen und Enrico plante einen gewaltigen Fussballtag mit den Spielpaarungen : Liverpool-Everton, Arsenal-Chelsea und Barcelona-Real Madrid.

So machte ich mich Samstagabend allein auf den Weg nach Asikuma und gesellte mich zur Geburtstagsfeier, die fuer die Nachbarin (Shelly) meiner reizenden Gastgeberinnen gegeben wurde. Den Sonntag verbrachte ich in illustrer Gesellschaft am Pool des Greenland Hotels in Swedru. Ausser den beiden Nachbaren (Lawrence und Shelly) und meinen Gastgeberinnen trafen zu spaeteren Zeiten auch noch Freiwillige aus Cape Coast ein. Hatte ich bereits beim Betreten des Hotelgelaendes das Gefuehl Fehl am Platz zu sein, verstaerkte sich das zusehends mit zunehmender Weissenanzahl, auch wenn diese sich insgesamt als gering herausstellte. Insbesondere paradoxe Aussagen von Weissen, die zwar das Exotische suchen, aber sich dann doch mit Heimischen umgeben, trugen dazu bei, dass ich mich sehr fremd fuehlte und meine Zeit lieber mit Lawrence am Beckenrand sitzend verbrachte. Erst im Austausch mit Bugs und Enrico konnte ich dem Sonntag die positiven Aspekte in Form von amuesanten Anekdoten anderer Weisser abgewinnen.