Im folgenden Blogeintrag soll ein bisher geringfuegig beachteter Aspekt des Freiwilligendienstes thematisiert werden, das Fehlen des Heimischen, das dadurch moeglicherweise entstehende Heimweh, die gefuehlte Einsamkeit und wie Freiwillige mit solchen Schwierigkeiten umgehen. Die nachfolgende Zusammenstellung bezieht sich zu grossen Teilen nicht auf meine eigene Person, sondern sind Beobachtungen und Eindruecke, die ich bei und mit anderen Freiwilligen gesammelt habe; hierbei soll vordergruendig keine Wertung, sondern in erster Linie eine Darstellung und Analyse erfolgen.
Ein jeder Freiwilliger handhabt die durch das Weilen in der Fremde entstehenden Belastungen auf seine ganz eigene, persoenliche Art. Die meisten Projektstellen sind durch mehrere Freiwillige besetzt, die dementsprechend auch eine Wohngemeinschaft bilden, und selbst Einzelplaetze haben durch die Gastfamilie meist Gesellschaft, was zur Folge hat, dass man zwar nur in den seltensten Faellen alleine ist, aber dennoch Einsamkeit verspuert. Denn die blosse Anwesenheit einer anderen Person bedeutet nicht, dass das Verhaeltnis so exzellent ist, dass die Art familiaerer Intimitaet geschaffen werden kann, die notwendig waere um jegliche Einsamkeit zu verhindern. Besonders schwer zu tragen haben die Freiwilligen, deren Beziehung durch den Auslandsaufenthalt zu einer Fernbeziehung wird, was, wie sich bisher zeigt, nicht fuer alle Beziehungen positiv verlaeuft.
Konfrontiert mit den unterschiedlichen Anforderungen ihres Jahres entwickeln Freiwillige diverse Mechanismen um die Zeit positiv zu gestalten. Waehrend einige einen Teil ihrer wohlbehueteten familiaeren Welt mit sich nahmen, um sie hier vor Ort aufzubauen, indem sie unzaehlige Fotos von Freunden und Familie anbringen, gibt es wiederum andere, die die sich ihnen praesentierende Realitaet auf ganz andere Weise meistern. Seine Umgebung, seinen Wohnraum, das eigene Zimmer zu gestalten muss nicht bei Fotos enden, auch durch Sprueche, Poster oder Malereien an den Waenden, koennen die Erfahrungen verarbeitet werden und zugleich ein Stueck heimatlicher Atmosphaere erzeugt werden.
Ueber den Wohnraum hinaus gibt es andere Methoden, ein probates Mittel scheint das Internet zu sein, durch das Grenzen und Entfernungen verschwinden und die Heimat durch einen einzigen Mausklick erreichbar wird. Da der virtuelle Kontakt in Form von Emails, Blog, sozialem Netzwerk, Forum oder Nachrichtenseite jedoch zeitlichen und finanziellen Einschraenkungen unterworfen ist, handelt es sich hierbei nur um eine temporaere Milderung oder Verschleierung der Tatsachen, die betreffende Person jedoch bleibt letzten Endes weiterhin mit der unabaenderlichen Wirklichkeit konfrontiert. Eine elementare Voraussetzung fuer den virtuellen Heimatbesuch ist der Gegenpart in Deutschland oder einem anderen Land, der aktiv an der Korrespondenz teilnimmt und nicht nur empfaengt, sondern auch sendet, denn erst der Dialog ermoeglicht dem Freiwilligen den Zugang zum heimischen Umfeld.
Wer der virtuellen Methode ueberdruessig geworden ist oder sich durch genannte Einschraenkungen gezwungen sieht aus dem virtuellen Netz zu steigen kann durch die intensive Lektuere fantastischer Romane das literarische Tor zu einer vollkommen anderen Welt aufstossen und sich dadurch der realen entziehen. In Kombination mit den Buechern kann bei Bedarf durch das Abspielen der Lieblingsmusik eine Atmosphaere erzeugt werden, die sich als sehr hilfreich erweist um die aeusseren Umstaende zu vergessen.
Wem auch die Buecher oder Musik nicht weiterhelfen, der kann durch ausgedehnte Telefongespraeche mit Freunden und Familie der Umgebung entkommen und ein Stueck deutsche "Normalitaet" erfahren.
Insbesondere an Wochenenden scheinen sich Freiwillige nach Vertrautem zu sehnen, was zur paradoxen Situtation fuehrt, dass Freiwillige, die das Exotische suchen und sich ueber zu grosse Zahlen von Weissen in ihren Wohnorten beschweren, gleichzeitig mit einer betraechtlichen Anzahl anderer weisser Freiwilliger umgeben und am Wochenende feiern gehen. Bei diesen Gelegenheiten bietet es sich zudem an durch verschiedenste Genussmittel sich die Wirklichkeit zu verschoenern.
Das einende Element der beschriebenen Verhaltensweisen ist das Schaffen eines Rueckzugraums, eines Fluchtorts, der aufgesucht werden kann, wenn Geborgenheit fehlt, wenn die Realitaet zu harsch wird, wenn die Einsamkeit zunimmt.
Bei jedem Besuch eines Internetcafes, jedem Telefonanruf nach Deutschland, jedem Roman, jeder Feier etc. gleich auf Realitaetsflucht zu schliessen waere jedoch voreilig und nicht zutreffend, denn schlieslich ist der Austausch mit Deutschland oder auch anderen Freiwilligen ein elementarer Bestandteil des interkulturellen Austauschs, der das Kernstueck des Programms "weltwaerts" bildet. Die Grenzen zwischen "normalem" Austausch und der Realitaetsflucht sind nicht klar gesteckt, allerdings lassen nur wenige Freiwillige Selbstreflexion und Selbstkritik hinsichtlich dieses Themas erkennen, so dass sie oftmals unbewusst zwischen den Sphaeren wandeln. Ausschlaggebend ist das Mass in welchem der/die Freiwillige die genannten Moeglichkeiten nutzt, dabei muss auch in Betracht gezogen werden, dass jede/r ein ganz individuelles Beduerfnis nach Heimatkontakt hat, weshalb keine absoluten Zahlen festlegen koennen wo die Realitaetsflucht beginnt. In jedem Fall kann Kontakt nicht mit Realitaetsflucht gleichgesetzt werden, denn es steht ausser Frage, dass die Zeit des Auslandsaufenthalts sehr fordernd sein kann und jede/r sich in einer Lage wiederfinden kann, in der Unterstuetzung aus der Heimat sehr willkommen ist. Nichtsdestotrotz kann an den aufgezaehlten Verhaltensweisen durchaus gerechtfertigte Kritik aufkommen, denn manchmal so scheint es, wird das eigentlich Ziel, die interkulturelle Interaktion, der Austausch mit Ghanaer dadurch zu stark in den Hintergrund gedraengt.
Persoenlich habe ich im Schreiben einen Weg gefunden, durch den es mir gelingt eine Distanz zum Erlebten aufzubauen, was die Analyse und das Verarbeiten meiner Erfahrungen erleichtert und mich stets zur Selbstreflexion zwingt. Durch das aktive schriftliche Auseinandersetzen mit meinem Alltag kann ich mich diesem entziehen und einen neuen Blickwinkel erlangen.
Donnerstag, 3. Dezember 2009
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ich hab deine gedanken zu den "realitäten" jetzt zweimal gelesen und sitze, naja, mehr liege, mit dem mac auf meinem bett und denke nach.
AntwortenLöschenich hab hier den ständigen internetzugang, nutze die möglichkeit auch viel. vielleicht manchmal zu viel. ich weiß es nicht. aber ist es realitätsflucht, wenn ich mich informiere, was in der welt passiert, und mich mit freunden in deutschland und sonst wo austausche? ist es nicht eher realitätsflucht zu sagen, ich bin in afrika, ich hab ein jahr keine ahnung, was es für neue nachrichten gibt, aber ist hier ja auch egal.
es sind für mich auch nicht zwei welten, bei der man von der einen in die andere fliehen kann. es ist eine welt (ok, klingt bisschen zu sehr nach gut-mensch) in der ich lebe und zu meinem leben gehört im moment halt sowohl ghana, als auch meine familie und freunde. es ist auch nicht DAS jahr. es ist halt eines von bisher 20, nur eben an einem ganz anderen ort. mit neuen erfahrungen, auch der erfahrung, wie viel "deutschland" man persönlich braucht, wie man selbst damit umgeht (wollte grade schon "damit klar kommt" schreiben, aber das klingt zu sehr nach einem problem, das man bewältigen muss).
so, vielleicht sehe ich das morgen auch alles wieder ganz anders.
ist aber gut mal wieder drüber nachzudenken. jetzt geh ich erstmal zum kühlschrank, neben dem mir eben noch eine junge mitbewohnerin eine ganzes konzert vor gesungen hat.