Mittwoch, 16. Dezember 2009

Identitaet

Alle hier geschilderten Erlebnisse und Erfahrungen sind als exklusive Ereignisse zu betrachten, es handelt sich hierbei um meine persönlichen und nicht verallgemeinerbaren Erfahrungen, die keinen Anspruch auf allgemeine Gültigkeit haben. Im folgenden Blogeintrag moechte ich thematisieren was es fuer mich bedeutet, als junger, weisser Deutscher in Ghana zu sein. Deshalb moechte ich hiermit noch einmal nachdruecklich darauf verweisen, dass es meine Erfahrung sind, die in keiner Weise als genereller Massstab gelten koennen, denn durch Gespraeche mit anderen Freiwilligen ist mir bereits klar, dass nur wenige vergleichbare Erfahrungen gemacht haben.

Als Weisser in Ghana zu weilen ist nicht immer unbeschwert und heiter, denn neben staendigen Obroni-Rufen wahlweise auch Obrofo (bedeutet eigentlich Englaender wird jedoch mit Weisser gleichgesetzt), die teilweise kindlich, goldig sein koennen, oder auch penetrant nervig, ist man noch anderen Situationen ausgesetzt, die durchaus unangenehm werden koennen.
Als eine solche unangenehme Situation empfinde ich bspw. das Fragen nach meiner deutschen Adresse, die moeglichst fuer einen Visumsantrag verwendet werden soll, partiell bereits von so kleinen Kindern, dass ich mich frage: Begreifen sie ueberhaupt die Tragweite ihrer Frage, und wer hat ihnen diese Fragen beigebracht?
Als nicht ganz so unangenehm, aber nicht weniger anstrengend empfinde ich das staendige "Betteln", das oftmals nicht einmal ernst gemeint ist. Insbesondere die Kinder fragen schlichtweg aus Prinzip den Weissen, ob er ihnen nicht Wasser, Essen, Geld, Computer, Spielzeug oder seine Kamera schenkt, unabhaengig davon, ob sie Hunger oder Durst haben, das Geld brauchen oder nicht, darum geht es nicht, es geht darum den "reichen Weissen" darum zu bitten.
Eine weitere Situation in der meine Hautfarbe eine uebermaessige Rolle spielt sind Trotro/Taxifahren und vor allem Einkaeufen (Lebensmittel ausgenommen) bei denen ich stets damit rechnen muss, dass von mir ein deutlich hoeherer Preis verlangt wird als von Ghanaern, sodass ich selbst nach intensivem Handeln noch immer mehr als den normalen Preis zahle. Haeufig aendern Ghanaer, im Glaube ich verstaende ueberhaupt kein Fanti, die Preise direkt in meinem Beisein und versuchen ganz offensichtlich von mir einen unangemessen hohen Betrag zu verlangen, aber mit mir kann man das ja machen, denn ich bin ja weiss und somit reich(Ironie!). Was mich wirklich daran stoert ist nicht, dass ich mehr zahle als Ghanaer, das kann ich nachvollziehen und bin dementsprechen bereit es zu tun, was mich veraergert ist die Dreistigkeit mit der vorgegangen wird.

Damit jedoch ist nahezu jeder Weisse konfrontiert, was also macht meine Nationalitaet so prekaer. Ganz einfach: Hitler, das NS-Regime, der juedische Holocaust, der Zweite Weltkrieg, der ganze geschichtliche Ballast, den jeder Deutsche wie einen unsichtbaren Rucksack mit sich traegt, ob er will oder nicht. Aber darueber hinaus spielt auch eine grosse Rolle wie sich Deutschland heutzutage praesentiert. Viele Ghanaer, die sich bereits in Deutschland aufgehalten haben, berichten, dass Deutschland als Land keine Auslaender moege und, dass Deutschland als Land vor allem keine Schwarzen moege, denn sie haben es ja selbst erlebt. Einige Beispiele an Situationen mit denen Enrico, Bugs und ich insbesondere in den ersten drei Monaten konfrontiert wurden, sollten verdeutlichen was mich dazu bewegte diesen Eintrag zu schreiben:

Enrico und ich wohnten einmal dem Montagsabendgottesdienst der Pentecost Church bei, der von Priesterin Mama Georgina geleitet wurde. Nach dem Gottesdienst stellte unsere Gastmutter uns in kleiner Runde vor, als Enrico und ich unsere deutsche Herkunft auf Nachfrage eroeffneten, war Georginas unmittelbare Reaktion: "Your country doesn't like black people." Sie fuhr fort, sie sei selbst schon da gewesen und habe es selbst erfahren, ueberall habe sie sich ausweisen muessen, staendig sei sie ueberprueft worden. Und ihrere Auffassung nach sei das ein Zeichen fuer den in Deutschland vorherrschenden Rassismus.
Enrico hatte waehrend einer Trotro-Fahrt das folgende Gespraech: Ghanaer: "Obroni, I like you, where are you from?" Enrico: "I'm from Germany" Ghanaer: "Oh, I don't like you."
Beim zweiten Fussballtraining an dem wir ueberhaupt teilnahmen fragte uns Frank, warum Deutsche keine Schwarzen moegen. Wenige Tage spaeter berichtete Osei uns, dass einer seiner Onkel in Deutschland gewesen sei, aber mittlerweile zurueck, da Deutsche keine Auslaender moegen.

Natuerlich reagieren nicht alle Ghanaer so, ohne Zweifel begegnet die grosse Mehrheit mir sehr freundlich, unabhaengig davon welche Nationalitaet ich habe und selbst die Ghanaer mit schlechten Deutschlanderfahrungen legen mir persoenlich gegenueber ein nicht minder freundliches Verhalten an den Tag.
Eine besondere Freude sind Begegnungen mit Ghanaern, die nur auf Heimatbesuch sind, weil sie mittlerweile in Deutschland wohnen und dementsprechend positiv gegenueber Deutschland und mir als Deutschem eingestellt sind. Bspw. waren Bugs, Enrico und ich wenige Tage vor meinem Geburtstag in Asikuma gerade auf dem Weg zur Trotrostation um nach Ajumako zurueckzukehren, als mir jemand aus einem passierenden Pick-Up zurief: "Wie geht's?", meinem Erstaunen zum Trotz rief ich ein schnelles froehliches "Gut!" zurueck. Der Wagen hielt daraufhin an und der Beifahrer stieg aus und stellte sich uns auf deutsch vor. Vincent, der eigentlich in Hamburg wohnt (aber auch sehr viel in Deutschland herumreist und deshalb alle unsere Heimatstaedte und zu Enricos Freude insbesondere Karlsruhes Schlosspark recht gut kannte) und hier in Ghana mit Pflanzenstoffen fuer Medikamente Geschaefte macht, erklaerte sich ohne Zoegern bereit uns mit nach Ajumako zu nehmen, so dass Enrico noch im Fuehrerhaeusschen Platz nahm, waehrend Bugs und ich es uns auf der Ladeflaeche gemuetlich machten.

Wie diese Ankedote zeigt werden wir auch mit explizit positiven Deutschlanderfahrungen konfrontiert, aber dennoch eine beachtliche Zahl ist leider negativ und diese Ereignisse bleiben in lebendiger Erinnerung und jedes Mal, wenn ich nach meiner Herkunft gefragt werde, zoegere ich einen Moment bevor ich meine Antwort gebe um dann die Reaktion zu erwarten. Dem Warten folgt meist die kleine Erleichterung, dass der Gegenueber nichts Schlechtes sagt, was mich wieder in eine verteidigende Position zwaenge. Um Missverstaendnissen vorzubeugen moechte ich deutlich sagen, dass ich jederzeit bereit bin meine Herkunft zu verteidigen und tue das mit der angemessenen Vehemenz und Dringlichkeit schliesslich bin ich stolz auf meine Wurzeln, doch es ist ermuedend und manchmal auch frustrierend gegen Windmuehlen zu kaempfen, deshalb bin ich immer wieder erleichtert, wenn mein Gegenueber mir keine negativen Erfahrungen mitteilt.

Gespraeche bzgl. Negativerfahrungen sind haeufig frustrierender Natur, denn bei der Diskussion darf man die kulturellen Unterschiede zwischen Ghanaern und Deutschen nicht ausser Acht lassen, das wiederum bedeutet immer wieder von Neuem gegen Windmuehlen anzutreten. Die unterschiedliche kulturelle Praegung soll natuerlich nicht als Entschuldigung gelten, aber koennte es sein, dass Ghanaer die deutsche rauhe Mentalitaet falsch deuten? Koennte es sein, dass Ghanaer kein Verstaendnis dafuer haben, dass Deutsche aufgrund von Hektik und Zeitdruck kurz angebunden, harsch, unfreundlich wirken koennen und das als rassistisches Merkmal werten? Koennte es sein, dass sie durch ihr hautfarbe-bedingtes Auffallen in einer weissen Mehrheitsgesellschaft verstaerkt auch auf Kleinigkeiten sehr sensibel achten? Koennte es sein, dass der deutsche Beamtenapparat mit seiner Buerokratie und haeufigen Ausweiskontrollen als rassistische Schikane wahrgenommen wird, und nicht als deutsches Beamtentum, womit sich auch weisse Deutsche herumaergern muessen?

Allen kulturellen Unterschieden zum Trotz empfinde ich, wann immer ich mit solchen Negativerfahrungen konfrontiert werde, tiefe Betroffenheit und werde auch traurig, aber nicht aufgrund der vergangenen Schreckenstaten der NS-Herrschaft, denn auch wenn es ein unweigerlicher Teil meiner Identitaet als Deutscher ist, so habe ich weder eine persoenliche noch eine kollektive Schuld fuer die ich zu suehnen habe.
In diesen Situationen bin ich betroffen und traurig, weil ich nicht mit Absolutheit sagen kann, dass kein Deutscher Schwarze hasst, denn schlieslich gibt es noch immer latenten und offenen Rassismus, schlieslich gibt es noch immer zu viele NPD-Waehler, schlieslich gibt es noch immer zu viele Uebergriffe auf Minderheiten.
Ich bin betroffen und traurig, weil es ein aussichtsloser Kampf zu sein scheint Ghanaern zu erklaeren, dass ich selbst doch auch Deutscher bin, aus einer Generation, die Rassismus zu aller groessten Teilen ablehnt und verurteilt, dass ich doch hier in Ghana bin, mit dem Deutschen Entwicklungsdienst, gerade, weil ich ein anderes Deutschland repraesentiere, eines das allen Menschen unabhaenig von Farbe und ethnischem Hintergrund offen gegenuebersteht, eines das aus der Geschichte gelernt hat.

Aus dieser Ueberzeugung heraus reagierte ich zu Beginn in erster Linie mit Unglauben und einer nahezu absoluten Sicherheit, dass es sich um Einzelfaelle und Uebertreibungen handeln muss, doch ich zweifle immer mehr: Bin ich in einem anderen Land aufgewachsen, als von dem da berichtet wird? Uebertreiben die Ghanaer in ihren Erzaehlungen? Welche Ghanaer haben tatsaechlich negative Erfahrungen gemacht und welche reproduzieren nur bereits gehoertes? Kann man als weisser Deutscher ueberhaupt nachempfinden was Schwarzen in Deutschland widerfaehrt? Herrscht vielleicht doch ein unbewusster, latenter Rassismus oder auch offensichtlicher, den man als Weisser nicht einmal erahnen kann oder will? Streitet man schon die Moeglichkeit des Rassismus ab, weil es ein zutiefst unbequemer Gedanke ist? Ist es nicht auch bequem, die Opferrolle einzunehmen und zu sagen: "nur weil ich schwarz bin"? Wird das Thema zu wenig beachtet? Oder im Gegenteil hochstilisiert? Wann wird eine Ansammlung von Einzelfaellen zum Regelfall? Sind jene, die sich rassistisch behandelt fuehlten, aufmerksamkeitheischende, laestige Querulanten? Oder sind jene, die sich nicht zu Wort melden, angepasste, unterwuerfige Onkel Toms?

1 Kommentar:

  1. Sehr interessanter Text, aber gibst du dir nicht selbst die Antwort zu Beginn? Dir wird als einer weißen Minderheit Angehöriger "Obroni" nachgerufen, man tuschelt hinter dir, ein "I don't like you", obwohl man das Gegenüber nicht kennt. Ist nicht eine gewisse, latente, zumeist unbewusste Verschlossenheit gegenüber dem Fremden eine vollkommen normale, menschliche Eigenschaft? Kann man z.B. als US-Bürger von sich sagen, dass es in den USA keinen Rassimus gäbe (Die Antwort lautet nein, und das bei einem Anteil von etwa 20% Menschen mit schwarzer und noch mehr mit hispanischem Ursprung)? Ist es die deutsche, oder vielmehr, den Deutschen aufoktroyierte Auffassung, ebendieses menschliche Phänomen der Verschlossenheit - bedingt aus Angst - als in bedrohlichem Maße ausgeprägter Rassismus zu sehen?

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