Sonntag, 16. Mai 2010

Im goldenen Kaefig

Am 30.04. hatte Bugs einen unverhofften Anruf des Landesdirektors Herr B. unserer Entsendeorganisation erhalten, der uns zur Teilnahme an einem Fussballturnier in Accra einlud. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr damit gerechnet, denn die erste Einladung war im November erfolgt und seitdem war nichts zu hoeren gewesen und ich hatte die Einladung als Lippenbekenntnis abgetan. Aber wie sich nun herausstellte war dem nicht so. Dementsprechend gross war meine Vorfreude auf das Turnier das am Samstag, den 8. Mai in Accra auf dem Gelaende einer Deutsch-Schweizer-Internationalen-Schule stattfinden sollte.

Samstag (8. Mai) Um fuenf Uhr morgens standen wir vier auf. Nicht nur wir drei Maenner, die wir spielen wuerden, sondern auch Mira machte sich auf den Weg in die Hauptstadt, zum einen um uns zuschauen, zum anderen um kurz einen Freiwilligenkollegen zu besuchen. So standen wir noch vor Sonnenaufgang auf (was mir das Fussball alles wert ist), als ich vor die Tuer trat um zu pinkeln, weil derzeit weder Dusche noch Klospuelung funktionieren, bemerkte ich, dass unsere Nachbarn auch schon wach und sehr geschaeftig waren. Ich gehe davon aus, dass unser Nachbar nicht zu einem Fussballturnier musste, sondern er vielmehr jeden Samstag (bzw. wahrscheinlich jeden Tag) so frueh schon wach ist, warum ist mir noch nicht klar, denn die Arbeit kann es am Wochenende mit Sicherheit nicht sein. Auf dem Weg zur Trotrostation begann die Tagesdaemmerung und als unser Trotro kurz nach sechs die Station verliess, war es schon helllichter Tag.

Den Grossteil der Fahrt verbrachte ich trotz aller Unbequemlichkeiten (ich hatte das Pech neben einer dicken Frau mit Kind zu sitzen) schlafend zu den Klaengen aus meinem Ipod. Kurz vor Accra erhielt Bugs einen Anruf von Herr B., ob wir denn bald da seien, denn das erste Spiel sei fuer acht Uhr angesetzt. Aufgrund des regen Verkehrsaufkommen vor Accra schafften wir es leider nicht zum ersten Spiel, machte auch nichts, denn das gewann unsere Entsendeorganisation gegen eine Elternmannschaft der Schule auch ohne unser Mitwirken mit 4:1.

In Accra an einem Knotenpunkt angekommen, rief Bugs seinerseits Herrn B. an um die letzten Wegbeschreibungen zu erhalten, allerdings war dieser fussballerisch verhindert, weshalb Frau B. antwortete. Sie war auch bemueht uns zur Schule zu leiten, Bugs bedingt durch seine mangelnden Strassenkenntnisse von Accra gab sein Handy direkt an Mira weiter, doch selbst als Accra-Veteranin konnte sie aus der Beschreibung nicht schlau werden, weshalb wir beschlossen ein Taxi zu nehmen und uns an zwei, drei Fixpunkte der Beschreibung zu halten. Nach kurzer Verwirrung und einem weiteren Anruf von Herrn B. hatten wir dann tatsaechlich die richtige Strasse gefunden und passierten auch schon unseren Landesdirektor, der zu unserer Orientierung auf dem Weg zur naechsten Strassenkreuzung war.

Beim Betreten des Schulgelaendes fiel mir sofort der Schriftzug auf der Tafel des Schulcafes ins Auge "Schwitzer Huesli", das versprach ein interessanter Tag zu werden. Auf dem Weg zum Spielfeld passierten wir die mehrstoeckigen Unterrichtsgebaeude, sowie die Pausenhoefe ausgestattet mit einem Spielplatz, einem Betonbasketballplatz und Tischtennisplatten. Mir kamen Kinder entgegen, an sich nicht erstaunlich, nur wann hatte ich zuletzt weisse Kinder gesehen? Am Ende des Ganges: Gras, gruenes Gras, ein Rasen, ein kleines Fussballfeld mitten in der Hauptstadt, von einer der zentralen Strassen in Accra nur durch eine hohe Mauer und wenige Meter getrennt. Nahe des Ganges, am Ende des Fussballfeld, so weit wie moeglich im Schatten die Ehefrauen und Muetter. Waehrend ich staunend die Ausstattung und vor allem den Rasenplatz bewunderte, erklaerte der Landesdirektor, dass unsere Entsendeorganisation im Gegensatz zu zwei weiteren Mannschaften eigentlich ausreichend besetzt sei, weshalb einer fuer eine andere auflaufen solle, falls einverstanden. Die Aussicht gegen den Arbeitgeber zu treffen war einfach zu verlockend, sodass ich ohne zu zoegern zustimmte.

In Retrospektive haette ich erst meine Mannschaftskameraden in Augenschein nehmen sollen, bevor ich meine Entscheidung traf, denn ich fiel ein wenig unter den Altersdurchschnitt (geschaetzte 20 Jahre zog ich den Schnitt nach unten). So kam es fuer mich nicht wirklich ueberraschend, dass wir aus drei Spielen nur ein Unentschieden holten, wobei ich den einzigen Treffer erzielte. Liebend gerne haette ich das auch gegen Enrico und unsere Entsendeorganisation (EO) wiederholt, aber es wollte nicht gelingen.

Zwischen und nach meinen eigenen Partien war Fussball fuer mich an diesem Tag unerwartet nebensaechlich, zu sehr war ich von der sich bietenden Atmosphaere in den Bann gezogen. Um mich herum wurde nur deutsch gesprochen, und als ein Spieler der EO-Mannschaft seine Koernerbrot-Stulle und die Apfelschnitzen aus der Tupperbox auspackte, hatte ich fast schon verdraengt, dass ich ja eigentlich in Ghana bin. Wenn da nur nicht die hohe Trennmauer im Hintergrund gewesen waere.

Am Nachmittag nachdem Enrico im Finale das Siegtor fuer unsere EO gegen die Oberstufenmannschaft erzielt hatte, fand die Siegerehrung statt. Zuerst waren natuerlich die Kindermannschaft an der Reihe, ein jedes Kind bekam einen kleinen Pokal und einen Fussball (einen Lederfussball). Warum betone ich die Tatsache des Lederfussballs? Ganz einfach, weil nahezu alle Baelle mit denen sonst hier in Ghana gespielt werden Kunststoff-Gummi-Baelle sind, weil Lederbaelle zu teuer sind. Unsere Schule in Ankukrom, die mehr als 200 Schueler umfasst, besitzt gerade einmal zwei Lederbaelle und nun bekommen die Kinder der internationalen Schule, denen es bestimmt an nichts mangelt, alle einen Lederfussball geschenkt.

Im Anschluss daran erfolgte die Siegerehrung der Erwachsenen und zu meiner grossen Ueberraschung bekam auch jeder Erwachsene einen kleinen Teilnahme-Pokal. Ich freute mich riesig, denn das hatte ich seit der D-Jugend nicht mehr bekommen, einen Pokal einfach nur fuer die Teilnahme. Allein fuer den Pokal hatte sich das fruehe Aufstehen gelohnt.

Um eine angemessenen, gemuetlichen Abschluss zu finden, lud uns der Landesdirektor noch vor Ort zum Essen ein. Waehrend ich an meinem Bier nippte und mit grossem Interesse verfolgte wie Bundeligaergebnisse und Formel-1 Startaufstellungen am Tisch zirkulierten, wartete ich mit Spannung auf mein Essen, welches Herr B. bestellt hatte ohne die Kellnerin (die zugegebenermassen wenig Kompetenz und noch weniger Enthusiasmus an den Tag legte) eines Blickes zu wuerdigen.
Aber es kam. Es sah aus wie eine, es roch wie eine, es schmeckte wie eine, eine echte Bratwurst (ob ich nach mehr als neun Monaten eine echte von einer falschen Bratwurst ueberhaupt noch unterscheiden kann, sei mal dahingestellt) Und zur Bratwurst gab es Kartoffelsalat, vergesst den Pokal, allein fuer das Essen hat sich das Aufstehen gelohnt. Angesichts meiner Begeisterung fuer das Essen, fragte eine Mitarbeiterin unserer EO, ob es bei uns in Ajumako denn keine Kartoffeln zu kaufen gebe. Da wir zuvor erklaert hatten, dass Ajumako ein Dorf auf dem Land ist, empfand ich die Frage als ein wenig unbedacht und realitaetsfern, aber ich war zu sehr mit der Bratwurst beschaeftigt um darauf zu verweisen, dass wir normalerweise ausserhalb des goldenen Kaefigs leben (da erwies mir die Bratwurst wahrscheinlich einen echten Dienst).

Nach einem Tag reich an Eindruecken, fuhr uns Herr B. noch mit einem seiner Dienstwagen zu einer Trotro-Station. Wir waren zurueck in der harschen Realitaet. Von dieser Station gelangten wir zum Kaneshie-Markt (von dort fahren die Trotros in verschiedenste Richtungen, unter anderem auch Ajumako). Den Kaneshie-Markt erreichten wir um kurz vor vier und reihten uns sofort in die Schlange des Ajumako-Ticketschalters ein. Waehrend der dann beginnenden Wartezeit (die sich insgesamt ueber mehr als zwei Stunden ausdehnen sollte), erschlichen sich noch ein Paar Leute einen Platz vor uns und wie sollte es anders sein, als das Trotro kam, wurde der letzte freie Platz an die Person direkt vor uns vergeben. Naja, macht nichts, dachte ich mir, das naechste kommt bestimmt gleich und jetzt stehen wir direkt an erster Stelle, jetzt draengelt sicher keiner mehr vor. Eine halbe Stunde (die eine gefuehlte halbe Ewigkeit war) spaeter bemerkte ich ein Trotro, das in der Naehe des Ajumako-Trotro-Spots parkte. Momente spaeter stuerzte der hintere Teil der Warteschlange auf das Fahrzeug zu und drang durch die Tueren und den Kofferraum ins Innere. Willkommen ausserhalb des goldenen Kaefigs, wo man, auch wenn man in vorderster Wartefront steht, keinen Fahrplatz bekommt. Gluecklicherweise hatte eine Frauengesellschaft, die ein Trotro organisierte und das bis auf wenige Sitzplaetze mit ihren Einkaeufen (genug um eine kurze Quarantaene-Zeit zu ueberstehen) vollstopfte, noch vier Plaetze fuer uns frei und so kamen wir dann letzten Endes doch noch nach Ajumako.

Donnerstag, 6. Mai 2010

Warum Nidoking Level 46 ist und ich Batman bin

Wie lange stehe ich schon hier? Ich weiss es nicht, ich schaue auf mein Handy. Aber da ich nicht weiss, seit wann ich hier stehe, spielt es auch keine Rolle wie spaet es jetzt ist. Ein Mann spricht mich an. Ja, ich bin aus dem selben Grund hier. Das Stehen strengt mich an, ich lehne mich an die weisse Kalkwand, mir ist heiss. Der weisse Kalk faerbt an mein T-Shirt ab. Ich setze mich auf den Steinboden, die Wand spendet Schatten. Ich stehe wieder auf, das Sitzen ist unbequem.
Wie lange stehe ich schon hier? Sechs Meter von mir, in der erbarmungslosen Sonne steht ein Bottich mit Wasser. Immer wieder ziehen Muetter ihre Kinder aus und waschen sie ein wenig. Direkt daneben pinkeln Kinder in die Abflussrinne davor. Mein Kopf fuehlt sich schwer an, ist es die Hitze oder das Fieber, vielleicht auch beides.
Wie lange stehe ich schon hier? Ich weiss es nicht, ich habe zwei Mal die Top Vier der Pokemon-Liga besiegt. Durch den Moskitoschutz der gekippten Fenster werfe ich einen fluechtigen Blick in den Raum, noch immer wird mein Name nicht genannt. Ein Kind fordert den Gameboy von mir, ich weise es muerrisch ab und es geht. Wieder wird ein Name aufgerufen, wieder nicht der meinige. Ich setze mich wieder hin. Die Kirchenwand ist angenehm kuehl.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss nicht. Nidoking erreicht Level 46. Eine Mutter waescht ihr Kind, daneben uebergibt sich ein anderes in die Abflussrinne. Entfernt sind die Bauarbeiten am eigentlichen Warte- und Aufnahmeareal zu hoeren. Das Kind kommt und fordert wieder den Gameboy von mir. Nein! Und 0,50 Ghc? Nein! 0,30 Ghc? Nein! 0,05Ghc? Nein! Es geht wieder. Ich muss die Batterien wechseln. Drinnen wird ein Name genannt, nicht der meinige, aber ein Sitzplatz ist frei, ich gehe rein.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Der Warteraum ist bis zum letzten Platz gefuellt. Es ist laut, schreiende, weinende Kinder. Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Eine Frau die unter Schluchzern und Schreien hinaus eilt. Wie lange ist es her, dass die Schwester meinen Blutdruck gemessen hat und ich ernuechtert mein Gewicht von nur noch 72 kg auf der Waage erblickt habe? War das mein Name, nein jemand anders hat schon reagiert. Husten, Keuchen, Stoehnen umgibt mich. Meine Gelenke schmerzen.
Wie lange sitze ich schon hier? Es liegen keine Akten mehr auf dem Tisch der Schwester, ich muss schon lange da sein. Ich wechsle von einer gruenen Holzbank zu einer anderen. Mein Name wird genannt. Ich kann aber nicht zuordnen aus welcher Richtung, ich wende mich links, und drehe eine Runde im Kreis bis ich zum richtigen Vorhang zwischen den Holzbrettern gelange. Der Arzt fragt mich nach meinem Befinden. Ich bin da um einen Arzt zu sehen, dass mir die Sonne nicht aus dem Arsch scheint sollte klar sein. Ich erklaere ihm, dass ich Fieber und Gliederschmerzen habe und seit drei Tagen Essen wie Trinken nicht laenger als eine halbe Stunde bei mir behalte, nur um es dann wieder als farbiges Wasser von mir zu geben. Ob ich Malaria-Prophylaxe nehme? Was tut das denn zur Sache, ich habe keinen einzigen Moskitostich, und uebergeben habe ich mich auch nicht. Ja ich habe Fieber und auch Schmerzen, wie bereits gesagt. Warum soll ich zum Bluttest? Lebensmittelvergiftung? Ist das denn noetig, das letzte Mal ging es doch auch ohne Test.

Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Ich koennte mein Handy aus der Hosentasche ziehen, auf die Uhr schauen. Jede Bewegung strengt an. Das Weiss der Wand vor mir wirkt grell, die Bodenfliesen sollten auch weiss sein, sie sind dreckig, Sand, Staub, Essenskruemel. Der kleine Junge zu meiner Rechten, laesst ein paar angekaute Maiskoerner aus dem Mund auf meine Fuesse fallen. Der Ventilator ueber mir geht nicht, der fuenf Meter weiter rechts geht, die Sitzplaetze dort sind vollbesetzt. Ich habe Durst.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Ich schaue den kleinen Jungen an. Ich muss schon eine ganze Weile da sein, er ist fertig damit seine angekauten Maiskoerner ueber den Fussboden zu verteilen. Die Tuer am Ende des Ganges oeffnet sich, ein Name wird gerufen, wieder nicht der meinige. Ich blicke auf den Boden. Fliegen am halbgekauten Mais.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Im Kopf habe ich das Bild eines langsam, unaufhoerlich tropfenden Wasserhahns. Es werden mehr Namen gerufen, es kommen neue Wartende, zwei davon legen sich auf den dreckigen Fussboden. Irgendwo am Ende des Ganges schreit ein Kind.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Mein Gelenke schmerzen, mir ist heiss. Der kleine Junge liegt in der Gangmitte auf einem Tuch nur unweit von seinen Maisresten. Seine Mutter wird aufgerufen, keine halbe Minute allein beginnt der Junge an zu weinen. Der Laerm strengt mich an. Wieder tritt ein Patient mit leerem Pinkelbecher aus der Tuer. Ich habe Durst, meine eigenen Gedanken quaelen mich mit Bildern eisgekuehlter Cola.
Wie lange sitze ich schon hier? Ein Mann mit Besen fegten den Gang. Sand, Staub, Essensreste, Ameisen, halbgekaute Maiskoerner. Ich muss schon lange da sein. Mein Name wird aufgerufen. Ich bin erleichtert, doch kaum durch die Tuer fragt der Mann mich nach meiner Versicherungskarte. Ich habe keine Versicherungskarte und frage ihn auch was ihm denn meine deutsche Versicherungskarte nuetzte. Er sagt, ohne Karte muesse ich es bar bezahlen, ich bin muede und frage, wie viel? Er wisse es nicht, ich solle zurueck zum Doktor gehen, der solle es aufschreiben. Ich bin nicht mehr muede, ich bin wuetend, ich frage ihn, ob es sein Ernst sei, nach Stunden des Wartens noch einmal die gleiche Prozedur zu machen. Er verweist mich an den Arzt.

Ich verlasse den Laborfluegel und suche den Arzt auf. Das Wartezimmer ist bis auf wenige Plaetze leer. Ich warte nicht, ich stecke einfach meinen Kopf ins Beratungszimmer. Er hat gerade einen Patienten. Ich ziehe den Kopf zurueck, wenige Augenblicke vergehen, der Arzt spricht mich an, bittet mich hinter einen anderen Vorhang.
R: "Ich bin seit heute Morgen hier, ich bin nicht bereit erneut zu warten, schauen sie auf meine Krankenakte, es ist das Gleiche wie beim letzten Mal, ich weiss, dass es das Gleiche ist, verschreiben sie mir einfach die Medikamente, damit ich gehen kann."
A: "Sie wollen also die Medikamente wo anders kaufen?"
R: "Ist mir vollkommen egal, hier oder wo anders, geben sie mir einfach die Medikamente."
A: "Das macht fuenf Cedis."

Die Medikamente haben auch sofort begonnen zu wirken, so dass ich das Abendessen bedenkenlos essen konnte. Allerdings hatte ich die Medikamente ueberschaetzt, so kam es, dass mein Magen um zwei Uhr nachts rebellierte und ich das Essen auskotzte, was ich immer noch als Verbesserung zu den vorangegangenen Tagen betrachtete, war nur schade ums Essen, es hatte so gut geschmeckt. Das war aber der letzte Fall unfreiwilliger Nahrungsmittelabgabe und sollte fuer drei Tage bedingt durch die Medikamente auch die letzte Nahrungsmittelabgabe jeglicher Art sein.

Auf jeden Fall bin ich wieder gesund und seit dem Wochenende ist auch unsere WG wieder vollstaendig. Zuerst kam samstags Enrico mit seiner Familie vorbei, die aber nur fuer wenige Stunde vor ihrem Rueckflug bleiben konnte, und sonntags kehrte auch Mira nach Ajumako zurueck. Unter der Woche stellten wir fest, dass eine Fledermaus Gefallen an unserer Waschkueche gefunden hatte. Als ich sie am fruehen Abend nahm um draussen auszusetzen, schien sie schwach und nicht allzu widerwillig aus dem Haus zu kommen, nach dem Abendessen war sie aber wieder in der Waschkueche, zumindest gehe ich davon aus, dass es sich um dieselbe Fledermaus handelte (denn sie tauchte einen Tag spaeter erneut auf), als ich sie dieses Mal nahm, zeigte sie sich weniger angetan und biss mich in den Finger. Was mir zwei Punkte zur Gewissheit verdeutlichte, zum einen, dass ich wenige Stunden zuvor die Fledermaus nur aufgrund des Tageslichts ohne Probleme aus der Waschkueche hatte tragen koennen, und zum anderen, dass ich Batman bin. In diesem Sinne wache ich nun ueber Gotham City, oder Ajumako oder so.

Samstag, 1. Mai 2010

Zwischen Baumwipfeln Und Untertage

Mittwoch (21.04.) -- Nach dem Fruehstueck brachen Bugs und ich auf um im Kakum Nationalpark den Canopy Walk zu beschreiten. Der Kakum Nationalpark liegt 33 km noerdlich von Cape Coast folglich fuehrte unser Weg von Ajumako ueber Mankessim nach Cape Coast.

Im Trotro nach Mankessim hatte ich das Vergnuegen neben einer sehr ungeduldigen Dame zu sitzen, die sobald das Trotro in Mankessim zu einem Halt gekommen war durch vehementes mir auf das Knie-Tippen signalisierte, dass sie aussteigen wollte, dass die Fahrgaeste in der Reihe vor uns noch nicht ausgestiegen waren und auch ich aussteigen wollte schienen dabei keine Rolle zu spielen. Doch immerhin war sie nicht dick, denn das sind immer die unangenehmsten Trotro-Mitfahrer (Oh nein, war ich jetzt politisch unkorrekt?) Egal, weiter gings!

Auf dem kurzen Fussweg zur naechsten Trotro-Station berichtete mir Bugs von seinem Sitznachbar und deren Unterhaltung und es stellte sich heraus, ich hatte mit der nervoesen Dame kein schlechtes Los gezogen. Denn Bugs Sitznachbar sang ihm das mittlerweile gut bekannte Lied, Deutschland sei rassistisch. Auf Bugs Frage, wie er zu dieser Einschaetzung komme, antwortete der gute Mann, er haette von mehreren Bekannten erfahren, dass es doch tatsaechlich so ist, dass wenn man keine Papiere besitzt, die zum Aufenthalt berechtigen, man ausgewiesen werden kann, einfach so. Schlimm, wenn man in einem funktionierenden Rechtsstaat lebt, oder? (Zu viel Ironie? Ach egal!) Leider hatte ich keine Gelegenheit mit dem Herren zu sprechen, denn sonst haette ich ihn gefragt, ob er denn glaube, dass ich ohne Papiere in Ghana sein duerfe, dass ich keine Arbeitgeber gebundene zeitlich begrenzte Aufenthaltserlaubnis habe.

Die Fahrt von Mankessim nach Cape Coast verbrachten Bugs und ich dann sicherheitshalber als Sitznachbarn - wie angenehm eine Trotro-Fahrt doch sein kann. Dafuer war die Wartezeit in Cape Coast bis das Trotro, das uns zum Nationalpark bringen sollte, voll war nicht annaehernd so angenehm. Warten an sich geht ja, aber wenn dann ein Kind in dreckigen Lumpen um Geld bettelt und ich dem Geber-Impuls nicht nachgeben kann und der Anblick mir eigentlich sehr nahe gehen sollte, wenn ich nicht schon so abgestumpft waere, dann schlaegt das ein wenig auf die Stimmung. Haette das Kind das Geld wirklich gebraucht? Sehr wahrscheinlich. Haette ich Geld geben koennen? Ohne Probleme. Aber wenn ich diesem Kind etwas gebe, warum nicht den Dutzend anderen die mich jede Woche fragen? Wie entscheide ich wer es verdient und wer nicht? Wo ziehe ich die Grenze? Ich ziehe sie ganz klar, indem ich jedem ganz gerecht gar nichts gebe.

Irgendwann war das Trotro gen Twifo-Praso voll und wir fuhren los, im Augenwinkel sah ich da noch wie das bettelnde Kind von einem anderen Kind angegangen wurde, weil es scheinbar eine Muenze geklaut hatte.

An der Auffahrt zum Nationalpark liess uns der Mate aussteigen, das Geschehen von der Station war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder erfolgreich verdraengt und die Vorfreude auf das Bevorstehende dominierte.

Da die naechste Begehung des Canopy Walks erst zur vollen Stunde beginnen sollte, nahmen Bugs und ich die Gelegenheit wahr und betrachteten die permanente Ausstellung ueber den Tropenwald. Um 13 Uhr war es dann so weit und unsere Gruppe trat unter Fuehrung des Parkangestellten Ben den Weg zum Canopy Walk an. Auf dem Weg dorthin stoppte Ben an verschiedenen Baeumen um auf deren Eigenschaften und Nutzen hinzuweisen. Besonders einpraegsam war ein Baum der frueher als Kommunikationsmittel genutzt wurde, falls eine Gruppe von Holzsammlern oder Jaegern sich verloren hatte. Weil das Rufen nach den anderen zu gefaehrlich gewesen waere, wurde stets diese besondere Baumart mit den grossen stuetzenden Wurzeln gesucht an die dann mit grosser Lautstaerke geklopft wurde. Der geneigte Leser mag sich nun fragen, aber warum war das Rufen denn so gefaehrlich, nun Ben erklaerte es uns und es ist in der Tat sehr einleuchtend: Die Zwerge haetten es gehoert und die betreffende Person weggezaubert. Da ist es um vieles sicherer an die Wurzeln zu klopfen um seine Position zu signalisieren, weil die Zwerge das bestimmt nicht gehoert haben. Wie dem auch sei, Ben erklaerte das sei frueher so gewesen und heute nicht mehr der Fall. Kurz nach dieser fuer mich sehr erheiternden Episode kamen wir endlich bei der Startplattform des Canopy Walks an.

Der Canopy Walk ist ein von zwei Kanadiern gebauter 330 m langer Weg, den sie (so erklaerte es Mira, die schon drei Mal da gewesen war) zur besseren Beobachtung von Schmetterlingen errichtet haben. Die Besonderheit des Weges, er befindet sich in ca. 40 m Hoehe auf sieben Haengebruecken zwischen den Baumwipfeln.

Grossen Respekt zolle ich nach wie vor Bugs, der sich trotz Hoehenangst mit mir auf die wackeligen Bretter ueber dem tropischen Blaetterdach wagte. In Erinnerung an den ein oder anderen Ski- und Mountainbike-Urlaub mit meinem Bruder musste ich auf einer der Baumplattformen einfach die einmalige Gelegenheit nutzen und ein Bild machen, mit Ausblick, wenn du weisst was ich mein Timo ;) Fuer mich war es also vor allem ein riesen Spass, waehrend es fuer Bugs doch ein wenig nervenaufreibend war. Aber er schlug sich dennoch beachtlich, anders als die drei Daenen unserer Gruppe, die doch eine ganze Weile brauchten um die bis zu 60 m langen Bruecken zu ueberqueren.


Donnerstags verkleinerte sich unsere Wohngemeinschaft um eine weitere Person, denn Enrico machte sich auf nach Elmina, um dort mit seinen Eltern zusammenzutreffen, die nach Wiedereroeffnung des europaeischen Luftraums tags zuvor doch noch nach Ghana fliegen konnten. So blieben dann nur noch Bugs und ich in Ajumako zurueck.

Doch das Hochleistungs-Entspannen fuer uns beide beschraenkte sich auf Freitag und Samstag.

Sonntags naemlich hiess es Sachen packen, ab nach Obuasi, ab zu den Goldminen. Sonntage sind generell, pauschalisiert, ganz frech verallgemeinert nicht die besten Tage um in Ghana irgendwohin zu reisen, denn Ghanaer reisen eher unter der Woche, die Trotros fahren aber unveraendert immer erst los, wenn sie voll besetzt sind, so dass es an Sonntagen noch einmal deutlich laenger dauert als unter der Woche bis das Trotro voll und fahrtbereit ist. So kamen Bugs und ich also nach Mankessim und stellten zu unserer Freude fest, dass es ein Trotro direkt nach Obuasi gibt. Leider sassen aber erst drei Fahrgaeste darin, d.h. es waren noch 15 Plaetze frei.Waehrnd ich im Trotro sass, liess ich meinen Blick ein wenig schweifen.

Die Trotro-Station trocken, staubig, bis auf die schmalen Schattenstreifen der Fahrzeuge bietet sich keine Fluchtmoeglichkeit vor der unerbittlich brennenden Sonne, lediglich die leichte Brise verschafft den Verkaeufern, die ihre Waren auf dem Kopf tragend lautstark anpreisen, ein wenig Linderung. Die Sekunden verstreichen, die Minuten werden zu Stunden und die Schatten werden laenger und laenger, nur das sich mir bietende Bild bleibt unveraendert, gefangen zwischen staubiger Langeweile und trockener Zynik.

Irgendwann war das Trotro dann doch voll und nachdem auch die letzte Frau ihre Naturheilmedizin mehr oder weniger erfolgreich verkauft hatte (in solchen Situation sind unsere deutschen Simultanverkaufsgespraeche stets voller Inronie) setzte sich das Trotro endlich in Bewegung. Nach drei Stunden oder 63 Liedern auf meinem Ipod hiess uns ein Schild willkommen in Obuasi "The Golden City". Ein Hotel und Abendessen waren schnell gefunden und wir liessen den Tag ruhig ausklingen.

Frueh am Morgen machten wir uns auf zum Buero der Minengesellschaft (Anglo Gold Asante, deren Aktien an der Londoner und New Yorker Boerse gehandelt werden) um eine Besichtigung der Minen vorzunehmen. Nach kurzer Verwirrung fanden wir letztlich doch von der Rezeption zum Haupttor und dem Touristenbuero, wo wir eingekleidet wurden und einen Blick in den kaerglich eingerichteten Ausstellungsraum (nur Fotos von Cricket- und Tennismannschaft anno 1938, natuerlich nur Weisse durften nicht fehlen, Rassismus kotzt mich an) warfen. Kaum war das Fahrzeug und unser Minenfuehrer organisiert, fuhren wir zum aeltesten Schacht der seit 1887 operierenden Mine. Der Sansu-Schacht wird jetzt vor allem als Unterrichtsschacht genutzt. Der fuer Touristen zugaengliche Schacht fuehrte uns in eine Tiefe von 800 Feet und ist mit fuenf Theorie-Unterrichtsraeumen und genuegend Felswaenden fuer die Praxis-Uebungen ausgestattet. Wir bekamen einen Einblick in die Arbeitsumgebung in der unser sympathischer Minenfuehrer Ramon und die anderen Kumpeln in acht Stundenschichten rundum die Uhr arbeiten, jedoch nicht nur in einer Tiefe von laecherlichen 800 Feet, sondern bis zu 5200 Feet tief unter der Erdoberflaeche. Am Fusse einer Arbeitsplattform bat uns Ramon unsere Kopfleuchten auszuschalten und ploetzlich war es finster, schwarz - die Worte beschreiben es nicht einmal annaehernd, es war als waer ich umgeben von nichts, es machte keinen Unterschied, ob ich die Augen geschlossen oder offen hatte, denn diese Duesternis war undurchdringlich. Gluecklicherweise durften wir die Lampen dann wieder anmachen und betrachteten noch einmal ausfuehrlich die Arbeitsplattform, wobei ich in stiller Bewunderung daran dachte, dass die Minenarbeiter dort auf beschraenktem Raum mit aeusserst schweren Bohrern hantieren muessen. Kurz vor Beendigung unserer Besichtigung zeigte Ramon uns noch zwei Steine, einen Sulfitstein und einen Quarzstein, in denen die Goldanteile mit blossem Auge klar zu erkennen waren. Der Wert des Quarzsteins war laut der Geologen geschaetzte 1000 Euro, nur leider zu gross und klobig fuer meine Hosentasche. Auf dem Fussweg hinauf nach gut zwei Stunden untertage, spuerte ich den starken Wind an meinem blauen Kittel den Schacht hinunter wehen noch bevor an Tageslicht ueberhaupt zu denken war. Mit jeder weiteren Biegung des Schachts nahm die Windstaerke zu und hinter einer langen Linkskurve waren die ersten natuerlichen Lichtstrahlen zu erkennen. Die letzte Biegung und die verbleibenden Schritte gerade aus hinter sich gebracht, traten wir zurueck ins gleissende Tageslicht. Die abschliessende Routinekontrolle, ob wir auch nicht einen Stein eingesteckt hatten, dauerte auch nur einen Moment und schon waren wir auf dem Weg zurueck ins Touristenbuero um Helm, Gurt, Lampe, Kittel, Stiefel und Sauerstoffnotfall-Paket zurueckzugeben und von dort zur die Trotrostation aufzusuchen. Einmal mehr war ich Bugs sehr dankbar, dass er wie auch schon beim Canopy Walk seine Angst fuer unser Abenteuer verdraengt hatte, denn eigentlich ist "Untertage-Gehen", genauso wie in schwindelerregenden Hoehen wandeln, ueberhaupt nicht seine Sache.

Die Wartezeit war um einiges geringer als am Tag zuvor und wir nutzten sie um vor Fahrtbeginn noch eine Kleinigkeit zum Essen zu kaufen. Um zwoelf Uhr startete dann auch das Trotro und angesichts der Motorengeraeusche aeusserte Bugs seine Bedenken, ob wir damit tatsaechlich nach Mankessim kommen wuerden. Beim Verlassen Obuasis stimmten Bugs und ich darin ueberein, dass Obuasi einen gewissen Charme ausstrahlt, was bisher mit Abstrichen sonst nur bei Tamale der Fall war. Mit der ca. 80 000 Einwohnern angenehmen Groesse und seiner Lage in Mitten der saftiggruenen Berger der Ashanti Region, war Obuasi auf jeden Fall die Reise wert gewesen. 27 Minuten nach Aufbruch bewahrheitete sich Bugs Befuerchtung; eine Steigung stellte sich fuer unser Fahrzeug als unbezwingbares Hindernis heraus, aber Fortuna war uns hold, direkt hinter uns war ein leeres Trotro, so dass einfach alle ihre Sachen nahmen und von einem ins andere Trotro packten. Ob das Trotro uns als Ersatz gefolgt war oder es schieres Glueck war, dass wir gerade an dieser Stelle liegen blieben, weiss ich nicht, aber es stimmte mich auf jeden Fall sehr froehlich. Wie viele Lieder ich auf der Rueckfahrt hoerte, weiss ich leider nicht, denn eine knappe Halbestunde vor Ankunft in Mankessim war der Akku leer, aber es muessten so um die 70 gewesen sein.

Nur eine Frage liess mich auf dem Rueckweg nicht los, naemlich, wie es sich wohl auf die Foerderleistung der Mine auswirken wuerde, wenn Ghanaer wuessten, dass bei J.R.R. Tolkien, sowie den meisten anderen Fantasy-Autoren die Zwerge das groesste Bergbauvolk sind. Nicht auszumalen was fuer Konsequenzen solches Wissen fuer die Aktienkurse haette.

So weit fuer diese Woche, schau'n mer mal was die Tage so bringen.