Sonntag, 16. Mai 2010

Im goldenen Kaefig

Am 30.04. hatte Bugs einen unverhofften Anruf des Landesdirektors Herr B. unserer Entsendeorganisation erhalten, der uns zur Teilnahme an einem Fussballturnier in Accra einlud. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt schon gar nicht mehr damit gerechnet, denn die erste Einladung war im November erfolgt und seitdem war nichts zu hoeren gewesen und ich hatte die Einladung als Lippenbekenntnis abgetan. Aber wie sich nun herausstellte war dem nicht so. Dementsprechend gross war meine Vorfreude auf das Turnier das am Samstag, den 8. Mai in Accra auf dem Gelaende einer Deutsch-Schweizer-Internationalen-Schule stattfinden sollte.

Samstag (8. Mai) Um fuenf Uhr morgens standen wir vier auf. Nicht nur wir drei Maenner, die wir spielen wuerden, sondern auch Mira machte sich auf den Weg in die Hauptstadt, zum einen um uns zuschauen, zum anderen um kurz einen Freiwilligenkollegen zu besuchen. So standen wir noch vor Sonnenaufgang auf (was mir das Fussball alles wert ist), als ich vor die Tuer trat um zu pinkeln, weil derzeit weder Dusche noch Klospuelung funktionieren, bemerkte ich, dass unsere Nachbarn auch schon wach und sehr geschaeftig waren. Ich gehe davon aus, dass unser Nachbar nicht zu einem Fussballturnier musste, sondern er vielmehr jeden Samstag (bzw. wahrscheinlich jeden Tag) so frueh schon wach ist, warum ist mir noch nicht klar, denn die Arbeit kann es am Wochenende mit Sicherheit nicht sein. Auf dem Weg zur Trotrostation begann die Tagesdaemmerung und als unser Trotro kurz nach sechs die Station verliess, war es schon helllichter Tag.

Den Grossteil der Fahrt verbrachte ich trotz aller Unbequemlichkeiten (ich hatte das Pech neben einer dicken Frau mit Kind zu sitzen) schlafend zu den Klaengen aus meinem Ipod. Kurz vor Accra erhielt Bugs einen Anruf von Herr B., ob wir denn bald da seien, denn das erste Spiel sei fuer acht Uhr angesetzt. Aufgrund des regen Verkehrsaufkommen vor Accra schafften wir es leider nicht zum ersten Spiel, machte auch nichts, denn das gewann unsere Entsendeorganisation gegen eine Elternmannschaft der Schule auch ohne unser Mitwirken mit 4:1.

In Accra an einem Knotenpunkt angekommen, rief Bugs seinerseits Herrn B. an um die letzten Wegbeschreibungen zu erhalten, allerdings war dieser fussballerisch verhindert, weshalb Frau B. antwortete. Sie war auch bemueht uns zur Schule zu leiten, Bugs bedingt durch seine mangelnden Strassenkenntnisse von Accra gab sein Handy direkt an Mira weiter, doch selbst als Accra-Veteranin konnte sie aus der Beschreibung nicht schlau werden, weshalb wir beschlossen ein Taxi zu nehmen und uns an zwei, drei Fixpunkte der Beschreibung zu halten. Nach kurzer Verwirrung und einem weiteren Anruf von Herrn B. hatten wir dann tatsaechlich die richtige Strasse gefunden und passierten auch schon unseren Landesdirektor, der zu unserer Orientierung auf dem Weg zur naechsten Strassenkreuzung war.

Beim Betreten des Schulgelaendes fiel mir sofort der Schriftzug auf der Tafel des Schulcafes ins Auge "Schwitzer Huesli", das versprach ein interessanter Tag zu werden. Auf dem Weg zum Spielfeld passierten wir die mehrstoeckigen Unterrichtsgebaeude, sowie die Pausenhoefe ausgestattet mit einem Spielplatz, einem Betonbasketballplatz und Tischtennisplatten. Mir kamen Kinder entgegen, an sich nicht erstaunlich, nur wann hatte ich zuletzt weisse Kinder gesehen? Am Ende des Ganges: Gras, gruenes Gras, ein Rasen, ein kleines Fussballfeld mitten in der Hauptstadt, von einer der zentralen Strassen in Accra nur durch eine hohe Mauer und wenige Meter getrennt. Nahe des Ganges, am Ende des Fussballfeld, so weit wie moeglich im Schatten die Ehefrauen und Muetter. Waehrend ich staunend die Ausstattung und vor allem den Rasenplatz bewunderte, erklaerte der Landesdirektor, dass unsere Entsendeorganisation im Gegensatz zu zwei weiteren Mannschaften eigentlich ausreichend besetzt sei, weshalb einer fuer eine andere auflaufen solle, falls einverstanden. Die Aussicht gegen den Arbeitgeber zu treffen war einfach zu verlockend, sodass ich ohne zu zoegern zustimmte.

In Retrospektive haette ich erst meine Mannschaftskameraden in Augenschein nehmen sollen, bevor ich meine Entscheidung traf, denn ich fiel ein wenig unter den Altersdurchschnitt (geschaetzte 20 Jahre zog ich den Schnitt nach unten). So kam es fuer mich nicht wirklich ueberraschend, dass wir aus drei Spielen nur ein Unentschieden holten, wobei ich den einzigen Treffer erzielte. Liebend gerne haette ich das auch gegen Enrico und unsere Entsendeorganisation (EO) wiederholt, aber es wollte nicht gelingen.

Zwischen und nach meinen eigenen Partien war Fussball fuer mich an diesem Tag unerwartet nebensaechlich, zu sehr war ich von der sich bietenden Atmosphaere in den Bann gezogen. Um mich herum wurde nur deutsch gesprochen, und als ein Spieler der EO-Mannschaft seine Koernerbrot-Stulle und die Apfelschnitzen aus der Tupperbox auspackte, hatte ich fast schon verdraengt, dass ich ja eigentlich in Ghana bin. Wenn da nur nicht die hohe Trennmauer im Hintergrund gewesen waere.

Am Nachmittag nachdem Enrico im Finale das Siegtor fuer unsere EO gegen die Oberstufenmannschaft erzielt hatte, fand die Siegerehrung statt. Zuerst waren natuerlich die Kindermannschaft an der Reihe, ein jedes Kind bekam einen kleinen Pokal und einen Fussball (einen Lederfussball). Warum betone ich die Tatsache des Lederfussballs? Ganz einfach, weil nahezu alle Baelle mit denen sonst hier in Ghana gespielt werden Kunststoff-Gummi-Baelle sind, weil Lederbaelle zu teuer sind. Unsere Schule in Ankukrom, die mehr als 200 Schueler umfasst, besitzt gerade einmal zwei Lederbaelle und nun bekommen die Kinder der internationalen Schule, denen es bestimmt an nichts mangelt, alle einen Lederfussball geschenkt.

Im Anschluss daran erfolgte die Siegerehrung der Erwachsenen und zu meiner grossen Ueberraschung bekam auch jeder Erwachsene einen kleinen Teilnahme-Pokal. Ich freute mich riesig, denn das hatte ich seit der D-Jugend nicht mehr bekommen, einen Pokal einfach nur fuer die Teilnahme. Allein fuer den Pokal hatte sich das fruehe Aufstehen gelohnt.

Um eine angemessenen, gemuetlichen Abschluss zu finden, lud uns der Landesdirektor noch vor Ort zum Essen ein. Waehrend ich an meinem Bier nippte und mit grossem Interesse verfolgte wie Bundeligaergebnisse und Formel-1 Startaufstellungen am Tisch zirkulierten, wartete ich mit Spannung auf mein Essen, welches Herr B. bestellt hatte ohne die Kellnerin (die zugegebenermassen wenig Kompetenz und noch weniger Enthusiasmus an den Tag legte) eines Blickes zu wuerdigen.
Aber es kam. Es sah aus wie eine, es roch wie eine, es schmeckte wie eine, eine echte Bratwurst (ob ich nach mehr als neun Monaten eine echte von einer falschen Bratwurst ueberhaupt noch unterscheiden kann, sei mal dahingestellt) Und zur Bratwurst gab es Kartoffelsalat, vergesst den Pokal, allein fuer das Essen hat sich das Aufstehen gelohnt. Angesichts meiner Begeisterung fuer das Essen, fragte eine Mitarbeiterin unserer EO, ob es bei uns in Ajumako denn keine Kartoffeln zu kaufen gebe. Da wir zuvor erklaert hatten, dass Ajumako ein Dorf auf dem Land ist, empfand ich die Frage als ein wenig unbedacht und realitaetsfern, aber ich war zu sehr mit der Bratwurst beschaeftigt um darauf zu verweisen, dass wir normalerweise ausserhalb des goldenen Kaefigs leben (da erwies mir die Bratwurst wahrscheinlich einen echten Dienst).

Nach einem Tag reich an Eindruecken, fuhr uns Herr B. noch mit einem seiner Dienstwagen zu einer Trotro-Station. Wir waren zurueck in der harschen Realitaet. Von dieser Station gelangten wir zum Kaneshie-Markt (von dort fahren die Trotros in verschiedenste Richtungen, unter anderem auch Ajumako). Den Kaneshie-Markt erreichten wir um kurz vor vier und reihten uns sofort in die Schlange des Ajumako-Ticketschalters ein. Waehrend der dann beginnenden Wartezeit (die sich insgesamt ueber mehr als zwei Stunden ausdehnen sollte), erschlichen sich noch ein Paar Leute einen Platz vor uns und wie sollte es anders sein, als das Trotro kam, wurde der letzte freie Platz an die Person direkt vor uns vergeben. Naja, macht nichts, dachte ich mir, das naechste kommt bestimmt gleich und jetzt stehen wir direkt an erster Stelle, jetzt draengelt sicher keiner mehr vor. Eine halbe Stunde (die eine gefuehlte halbe Ewigkeit war) spaeter bemerkte ich ein Trotro, das in der Naehe des Ajumako-Trotro-Spots parkte. Momente spaeter stuerzte der hintere Teil der Warteschlange auf das Fahrzeug zu und drang durch die Tueren und den Kofferraum ins Innere. Willkommen ausserhalb des goldenen Kaefigs, wo man, auch wenn man in vorderster Wartefront steht, keinen Fahrplatz bekommt. Gluecklicherweise hatte eine Frauengesellschaft, die ein Trotro organisierte und das bis auf wenige Sitzplaetze mit ihren Einkaeufen (genug um eine kurze Quarantaene-Zeit zu ueberstehen) vollstopfte, noch vier Plaetze fuer uns frei und so kamen wir dann letzten Endes doch noch nach Ajumako.

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