Dienstag, 15. Juni 2010

"Ghana vs. Afrika" oder "Die Panafrikanische Idee"

Ich sitze im Trotro, wie lange wir wohl noch auf weitere Fahrgaeste warten muessen, in meinen Haenden liegt mein kleines Buechlein, unbeholfen versuche ich meine Gedanken ueber Zeit und Zeitempfinden festzuhalten, aber es will mir heute einfach nicht gelingen. Ein Stimme dringt zu mir durch, ein Mann steht mitten vor der offenen Schiebetuer des Trotros und ruft: "Obroni in Ghana! Obroni in Westafrica!" Aus dem Gewirr von Verkaeufern tritt ein zweiter hinzu und schreit: "Obroni in Africa!" Auf mein Laecheln folgt die unvermeidliche Frage, wie es mir hier gefalle in Ghana, in Afrika. Ich loese mich von meinen Zeitgedanken und erwidere, Ghana sei sehr schoen, nur ueber Afrika als Ganzes koenne ich nichts sagen. Mit unglaeubigen Erstaunen, ruft mein Gespraechspartner einen Satz, den ich nur zu gut aus Begegnungen hier in Ghana kenne,: "This is Africa!" Drei Worte, die mich einmal mehr in tiefes Gruebeln verfallen lassen.

Ich denke an mein Vorbereitungsseminar, Dank dessen ich in nahezu allen Blogeintraegen hyper-sensibilisiert und politisch korrekt gewesen bin (oder es zumindest versucht habe). Ich denke daran, dass ich ein bestimmtes Wort nur zwei Mal in meinen bisherigen 38 Eintraegen verwendete: "Afrika". Erstaunlich, oder? Schliesslich bin ich doch in Ghana, einem afrikanischem Land. Warum also habe ich so selten "Afrika" geschrieben, ganz einfach: Beim Vorbereitungsseminar wurden wir Freiwilligen alle mehrfach, fast schon bis zum Erbrechen, sensibilisiert und ermahnt, dass wir nicht verallgemeinern sollen (niemals!), dass wir betonen sollen, dass wir Erfahrungen in Ghana sammeln und deshalb die Nutzung des Begriffs "Afrika" vermeiden sollen, weil dadurch das in westlichen Medien so oft bemuehte Bild eines kohaerenten Afrikas verfestigt wird und man damit nur zu Stereotypisierung beitraegt, und eines der Ziel unseres Freiwilligenjahres ist es doch Vorurteile durch persoenliche Erfahrungen abzubauen. Ganz dem hehren Ziel des Freiwilligendienstes ergeben, vermied ich also die Nutzung des Wortes "Afrika" und betonte stets Ghana.

Nun sitze ich im Trotro, mir erklingen wieder die Ermahnungen der Tutorin:
"Afrika", das Wort allein ruft durch die Auswahl und Berichterstattung der deutschen und westlichen Medien negative Assoziationen hervor. Das ist ein Relikt der Kolonialzeit, in der sich nicht die Muehe gemacht wurde die Laender zu nennen, denn es war ja nur "Afrika". Macht immer deutlich, dass Ihr in Ghana seid, dass daraus keine Schluesse auf andere afrikanische Staaten gezogen werden koennen.

Noch waehrend die Worte in mir verklingen, regen sich gegensaetzliche Erinnerungen: Buchpassagen ueber die Erfahrungen einer Somalierin, die alltaegliche Szenen beschreibt, die mir seltsam vertraut erscheinen, bloss bin ich doch in Ghana und nicht Somalia. Buchpassagen eines Anthropologen aus Kamerun, der scheinbar auch Erlebnisse mit mir geteilt hat. Kapuscinski, der in "Afrikanisches Fieber" so viele kleine wohl bekannte Begebenheiten schildert.
Und vor allem Ghanaer, die jede afrikanische Fussballmannschaft bejubeln, ausser die nigerianische, aber dazu spaeter mehr. Ghanaer, die sich kaum kennen, aber mit 'Bruder' oder 'Schwester' ansprechen, und immer wieder die an mich gestellte Frage, wie es mir in Afrika gefalle.

Es reift in mir also der Gedanke, vielleicht gibt es da etwas, das Ghanaer mit anderen afrikanischen Laendern verbindet, vielleicht gibt es da etwas das den ganzen Kontinent eint. Vielleicht ist das die Panafrikanische Idee? Aber es reift auch die Frage, wie stark ist dieser Panafrikanismus?

Es gibt die panafrikanischen Farben (rot, gruen, gelb), die in den verschiedenen afrikanischen Nationalflaggen dominieren und von deren Sportlern stets bei jeder Gelegenheit mit grossem Patriotismus praesentiert werden. Die vor wenigen Tagen begonnene Fussballweltmeisterschaft in Suedafrika wurde mit Spannung erwartet, denn es ist eine gefuehlte Heim-WM fuer alle Afrikaner. In Fernsehberichten sehe ich afrikanische Fans, die es als selbstverstaendlich ansehen jede afrikanische Mannschaft zu unterstuetzen, es sei doch schliesslich eine afrikanische WM. Es ist dieser Einheitsgeist, der Ghanaer jubeln laesst, wenn Suedafrika die erste WM auf dem afrikanischen Kontinent gegen Mexiko eroeffnet, wenn die Elfenbeinkueste gegen Portugal antritt und wenn Kameruns Spieler zum ersten Mal den Ball beruehren. Zweifellos wird die eigenen Nation am staerksten unterstuetzt, aber sollte diese ausscheiden, und eine afrikanische Mannschaft vielversprechend aufspielen, so wird sie mit der Unterstuetzung des Kontinents rechnen koennen.

Doch auch neben den umjubelten Fussballspielern, den Essien, Mikels, Drogbas gibt es panafrikanische Idole abseits des Fussballplatzes. Alte wie Robert Mugabe (der einst ein Hoffnungstraeger des gerade in die Unabhaengigkeit entlassenen Kontinents war) und Kwame Nkrumah, sowie scheinbar zeitlose wie Nelson Mandela. Verdiente Maenner des Kampfes gegen die Unterdrueckung. Ein Kampf der den Kontinent, die Nationen, die Voelker, so scheint mir, hat naeher zusammenruecken lassen. Ist der Panafrikanische Gedanke also auch so stark, weil es den gemeinsamen Feind gab?

Dass die Panafrikanische Idee lebendig, stark und nahezu allgegenwaertig ist habe ich bei unserer Reise durch Togo und Benin gespuert. Die Menschen sprechen oft und viel ueber Afrika, ueber die Zukunft und die Rolle Afrikas. Dabei wird ein bewundernswertes Gefuehl der Gemeinsamkeit, Geschlossenheit und Einheit vermittelt, von dem wir in Europa, das wurde in der Diskussion um die Griechenland-Rettung ueberdeutlich, noch weit entfernt sind.

Auch die Afrikanische Union ist ein Beispiel der Staerke des Panafrikanischen Gedankens. Diese wurde bereits 1961 durch die neuen Staatsoberhaeupter, der damaligen so frisch von der Unabhaengigkeitswelle erfassten afrikanischen Laender, gegruendet. Vier Jahre zuvor hatte es gerade einmal einen Zusammenschluss der Benelux-Staaten, Frankreichs, Italiens und Deutschland zur Europaeischen Wirtschaft Gemeinschaft gegeben, der erste Schritt zur Europaeischen Union, die erst 1993 ganze 32 Jahre nach der Afrikanischen Union erschaffen wurde.

Bei alle dem darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch der Panafrikanismus seine Grenzen hat und es sich als sehr fragiles Gebilde erweisen kann. Nigeria und Nigerianer bspw. sind fuer viele Ghanaer ein Aergernis. Nigeria war einst Hoffnungstraeger der afrikanischen Westkueste gewesen, der bevoelkerungs- und erdoelreichste Staat Westafrikas, zog Wirtschaftsmigranten aus der gesamten Region an. Doch dann versank das Land in Buergerkriegen und Oel-Skandalen. Aus der Wirtschaftshoffnung wurde ein Problemfall und seit einigen Jahren findet eine verstaerkte Emigration nigerianischer Buerger statt. Aufgrund der positiven Entwicklungen der letzten Jahre ist Ghana als aufstrebender Wirtschaftstraeger ein wahrer Migrationsmagnet. Viele Nigerianer insbesondere in Accra sehen sich gezwungen im informellen Sektor zu arbeiten oder gaenzlich illegal ihren Unterhalt zu bestreiten. Dadurch werden sie den Ghanaern missliebig, weshalb meine Kollegen und ich bereits mehrmals mit Aussagen wie, dass es bevor die Nigerianer kamen, keine Kriminalitaet in Ghana gegeben habe, konfrontiert wurden. Selbst unser Gastvater, den wir als sehr besonnen und pragmatisch kennen gelernt haben, freute sich ausgiebig, als die Schweiz die U-17 WM im Finale gegen Nigeria gewann, und prophezeite uns bei der Live-Uebertragung, dass es zu Ausschreitungen durch die nigerianischen Fans kommen wuerde. Was nicht der Fall war. Es entsteht somit der dringliche Eindruck, dass die Panafrikanische Idee zumindest in der Sicht vieler Westafrikaner Nigeria ausschliesst.

Gibt's vielleicht noch weitere Ausschluesse?

Ja. Bereits am zweiten Tag in Ghana lernte ich etwas Entscheidendes ueber den Panafrikanischen Gedanken. Mitarbeiter unserer NGO fragten uns, ob wir denn schon einmal in Afrika gewesen seien, als ich bejahend antwortete, ich sei in Aegypten, Tunesien und Marokko gewesen, stellten sie postwendend klar, dass ich noch nicht in Afrika gewesen sei. Es scheint als sei die noerdliche geographische Grenze der Panafrikanischen Idee nicht das Mittelmeer, sondern die Sahara. Folglich ist der Subsahara-Teil des Kontintens das "wahre Afrika". Eine grosse Rolle bei dieser Abgrenzung spielt die Hautfarbe, die wohl am staerksten zur Identitaetsstiftung beitraegt. "Obroni" der weisse Mann und "Obrofou" der Englaender: Das sind nicht nur wir oder alle Westler. Das sind, wie wir bei Gespraechen mit den Lehrern in Ankukrom heraushoerten, auch die Nordafrikaner, Aegypter und Algerier! Und selbst Suedafrika, das derzeit so oft als Regenbogennation in den deutschen Medien Erwaehnung findet, nimmt gerade dadurch im Panafrikanischen Gedanken eine Sonderrolle ein.


Letztlich komme ich zu dem Schluss, dass es Eigenheiten gibt die mir wahrscheinlich in vielen afrikanischen Laendern begegnen koennen, aber da ich nicht weiss welche der taeglichen Erlebnisse mir auch bspw. in Ouagouadougou (Hauptstadt Burkina-Fasos) passieren koennten, bleibe ich dabei es als ghanaische Gepflogenheit zu betrachten.

Was den Panafrikanischen Gedanken anbelangt, so laesst sich aus meiner Sicht nach fast elf Monaten in Ghana sagen, dass die Panafrikanische Idee, entstanden aus dem Widerstand gegen die Kolonialisten, sich zu einem eigenstaendigen Selbstwert entwickelt hat. Panafrikanismus scheint fuer viele eine starke, lebendige, hoffnungsvolle Vision zu sein. Doch reicht eine Vision?

5 Kommentare:

  1. entschuldigt bitte die lange wartezeit, weder faulheit noch sonstiges hat mich abgehalten, lediglich ein sturm, durch den stromschwankungen hervorgerufen wurden, hat am 24.05. das modem des internet-cafes zerstoert und es hat wie ihr seht ein wenig gedauert. der naechste eintrag ist auch schon fertig. also viel spass beim lesen ;)

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  2. Hallo Robert, ich lese wie Du weißt Deinen Blog mit großem Interesse, und ich lese unbedingt sehr gern (!) auch längere Blogeinträge.

    Nun hab ich' ne blöde Frage und Deine E-Mail Adresse nicht: Darf ich diesen letzten Eintrag kopieren, ausdrucken und einem hoffnungsvollen Studenten aus Guinea überreichen zwecks Lektüre (authentisches Deutsch) und Diskussionsanlass?

    Beste Grüße aus Dossene, Mareile.

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  3. Hallo Mareile,

    den Blogeintrag stelle ich Dir natuerlich sehr gerne zur Verfuegung. Freut mich, dass mein Eintrag als Diskussionsanlass dienen kann.

    Liebe Gruesse aus Ajumako,

    Robert

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  4. Hallo Robert, vielen Dank für Deinen reflektierten Beitrag. Ich lese gerne Deine "Vor-Ort"-Perspektiven. Viele Grüsse, Wolfgang aus Wuppertal

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  5. Hey.
    In meinem Studiengang ist einer aus Uganda, der oft T.I.A (This is Africa), zu allen möglichen "typisch afrikanischen" Gepflogenheiten sagt.
    Er wiederum unterscheidet den Kontinent in Ost und West. Für ihn ist Westafrika langweilig und uninteressant. Hat mich sogar ausgelacht als ich sagte, dass ich nach Ghana fliegen und sich gewundert, warum ich nicht nach Ostafrika geh :)
    Liebe Grüße aus dem SONNIGEN und WARMEN Deutschland!

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