Donnerstag, 6. Mai 2010

Warum Nidoking Level 46 ist und ich Batman bin

Wie lange stehe ich schon hier? Ich weiss es nicht, ich schaue auf mein Handy. Aber da ich nicht weiss, seit wann ich hier stehe, spielt es auch keine Rolle wie spaet es jetzt ist. Ein Mann spricht mich an. Ja, ich bin aus dem selben Grund hier. Das Stehen strengt mich an, ich lehne mich an die weisse Kalkwand, mir ist heiss. Der weisse Kalk faerbt an mein T-Shirt ab. Ich setze mich auf den Steinboden, die Wand spendet Schatten. Ich stehe wieder auf, das Sitzen ist unbequem.
Wie lange stehe ich schon hier? Sechs Meter von mir, in der erbarmungslosen Sonne steht ein Bottich mit Wasser. Immer wieder ziehen Muetter ihre Kinder aus und waschen sie ein wenig. Direkt daneben pinkeln Kinder in die Abflussrinne davor. Mein Kopf fuehlt sich schwer an, ist es die Hitze oder das Fieber, vielleicht auch beides.
Wie lange stehe ich schon hier? Ich weiss es nicht, ich habe zwei Mal die Top Vier der Pokemon-Liga besiegt. Durch den Moskitoschutz der gekippten Fenster werfe ich einen fluechtigen Blick in den Raum, noch immer wird mein Name nicht genannt. Ein Kind fordert den Gameboy von mir, ich weise es muerrisch ab und es geht. Wieder wird ein Name aufgerufen, wieder nicht der meinige. Ich setze mich wieder hin. Die Kirchenwand ist angenehm kuehl.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss nicht. Nidoking erreicht Level 46. Eine Mutter waescht ihr Kind, daneben uebergibt sich ein anderes in die Abflussrinne. Entfernt sind die Bauarbeiten am eigentlichen Warte- und Aufnahmeareal zu hoeren. Das Kind kommt und fordert wieder den Gameboy von mir. Nein! Und 0,50 Ghc? Nein! 0,30 Ghc? Nein! 0,05Ghc? Nein! Es geht wieder. Ich muss die Batterien wechseln. Drinnen wird ein Name genannt, nicht der meinige, aber ein Sitzplatz ist frei, ich gehe rein.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Der Warteraum ist bis zum letzten Platz gefuellt. Es ist laut, schreiende, weinende Kinder. Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Eine Frau die unter Schluchzern und Schreien hinaus eilt. Wie lange ist es her, dass die Schwester meinen Blutdruck gemessen hat und ich ernuechtert mein Gewicht von nur noch 72 kg auf der Waage erblickt habe? War das mein Name, nein jemand anders hat schon reagiert. Husten, Keuchen, Stoehnen umgibt mich. Meine Gelenke schmerzen.
Wie lange sitze ich schon hier? Es liegen keine Akten mehr auf dem Tisch der Schwester, ich muss schon lange da sein. Ich wechsle von einer gruenen Holzbank zu einer anderen. Mein Name wird genannt. Ich kann aber nicht zuordnen aus welcher Richtung, ich wende mich links, und drehe eine Runde im Kreis bis ich zum richtigen Vorhang zwischen den Holzbrettern gelange. Der Arzt fragt mich nach meinem Befinden. Ich bin da um einen Arzt zu sehen, dass mir die Sonne nicht aus dem Arsch scheint sollte klar sein. Ich erklaere ihm, dass ich Fieber und Gliederschmerzen habe und seit drei Tagen Essen wie Trinken nicht laenger als eine halbe Stunde bei mir behalte, nur um es dann wieder als farbiges Wasser von mir zu geben. Ob ich Malaria-Prophylaxe nehme? Was tut das denn zur Sache, ich habe keinen einzigen Moskitostich, und uebergeben habe ich mich auch nicht. Ja ich habe Fieber und auch Schmerzen, wie bereits gesagt. Warum soll ich zum Bluttest? Lebensmittelvergiftung? Ist das denn noetig, das letzte Mal ging es doch auch ohne Test.

Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Ich koennte mein Handy aus der Hosentasche ziehen, auf die Uhr schauen. Jede Bewegung strengt an. Das Weiss der Wand vor mir wirkt grell, die Bodenfliesen sollten auch weiss sein, sie sind dreckig, Sand, Staub, Essenskruemel. Der kleine Junge zu meiner Rechten, laesst ein paar angekaute Maiskoerner aus dem Mund auf meine Fuesse fallen. Der Ventilator ueber mir geht nicht, der fuenf Meter weiter rechts geht, die Sitzplaetze dort sind vollbesetzt. Ich habe Durst.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Ich schaue den kleinen Jungen an. Ich muss schon eine ganze Weile da sein, er ist fertig damit seine angekauten Maiskoerner ueber den Fussboden zu verteilen. Die Tuer am Ende des Ganges oeffnet sich, ein Name wird gerufen, wieder nicht der meinige. Ich blicke auf den Boden. Fliegen am halbgekauten Mais.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Im Kopf habe ich das Bild eines langsam, unaufhoerlich tropfenden Wasserhahns. Es werden mehr Namen gerufen, es kommen neue Wartende, zwei davon legen sich auf den dreckigen Fussboden. Irgendwo am Ende des Ganges schreit ein Kind.
Wie lange sitze ich schon hier? Ich weiss es nicht. Mein Gelenke schmerzen, mir ist heiss. Der kleine Junge liegt in der Gangmitte auf einem Tuch nur unweit von seinen Maisresten. Seine Mutter wird aufgerufen, keine halbe Minute allein beginnt der Junge an zu weinen. Der Laerm strengt mich an. Wieder tritt ein Patient mit leerem Pinkelbecher aus der Tuer. Ich habe Durst, meine eigenen Gedanken quaelen mich mit Bildern eisgekuehlter Cola.
Wie lange sitze ich schon hier? Ein Mann mit Besen fegten den Gang. Sand, Staub, Essensreste, Ameisen, halbgekaute Maiskoerner. Ich muss schon lange da sein. Mein Name wird aufgerufen. Ich bin erleichtert, doch kaum durch die Tuer fragt der Mann mich nach meiner Versicherungskarte. Ich habe keine Versicherungskarte und frage ihn auch was ihm denn meine deutsche Versicherungskarte nuetzte. Er sagt, ohne Karte muesse ich es bar bezahlen, ich bin muede und frage, wie viel? Er wisse es nicht, ich solle zurueck zum Doktor gehen, der solle es aufschreiben. Ich bin nicht mehr muede, ich bin wuetend, ich frage ihn, ob es sein Ernst sei, nach Stunden des Wartens noch einmal die gleiche Prozedur zu machen. Er verweist mich an den Arzt.

Ich verlasse den Laborfluegel und suche den Arzt auf. Das Wartezimmer ist bis auf wenige Plaetze leer. Ich warte nicht, ich stecke einfach meinen Kopf ins Beratungszimmer. Er hat gerade einen Patienten. Ich ziehe den Kopf zurueck, wenige Augenblicke vergehen, der Arzt spricht mich an, bittet mich hinter einen anderen Vorhang.
R: "Ich bin seit heute Morgen hier, ich bin nicht bereit erneut zu warten, schauen sie auf meine Krankenakte, es ist das Gleiche wie beim letzten Mal, ich weiss, dass es das Gleiche ist, verschreiben sie mir einfach die Medikamente, damit ich gehen kann."
A: "Sie wollen also die Medikamente wo anders kaufen?"
R: "Ist mir vollkommen egal, hier oder wo anders, geben sie mir einfach die Medikamente."
A: "Das macht fuenf Cedis."

Die Medikamente haben auch sofort begonnen zu wirken, so dass ich das Abendessen bedenkenlos essen konnte. Allerdings hatte ich die Medikamente ueberschaetzt, so kam es, dass mein Magen um zwei Uhr nachts rebellierte und ich das Essen auskotzte, was ich immer noch als Verbesserung zu den vorangegangenen Tagen betrachtete, war nur schade ums Essen, es hatte so gut geschmeckt. Das war aber der letzte Fall unfreiwilliger Nahrungsmittelabgabe und sollte fuer drei Tage bedingt durch die Medikamente auch die letzte Nahrungsmittelabgabe jeglicher Art sein.

Auf jeden Fall bin ich wieder gesund und seit dem Wochenende ist auch unsere WG wieder vollstaendig. Zuerst kam samstags Enrico mit seiner Familie vorbei, die aber nur fuer wenige Stunde vor ihrem Rueckflug bleiben konnte, und sonntags kehrte auch Mira nach Ajumako zurueck. Unter der Woche stellten wir fest, dass eine Fledermaus Gefallen an unserer Waschkueche gefunden hatte. Als ich sie am fruehen Abend nahm um draussen auszusetzen, schien sie schwach und nicht allzu widerwillig aus dem Haus zu kommen, nach dem Abendessen war sie aber wieder in der Waschkueche, zumindest gehe ich davon aus, dass es sich um dieselbe Fledermaus handelte (denn sie tauchte einen Tag spaeter erneut auf), als ich sie dieses Mal nahm, zeigte sie sich weniger angetan und biss mich in den Finger. Was mir zwei Punkte zur Gewissheit verdeutlichte, zum einen, dass ich wenige Stunden zuvor die Fledermaus nur aufgrund des Tageslichts ohne Probleme aus der Waschkueche hatte tragen koennen, und zum anderen, dass ich Batman bin. In diesem Sinne wache ich nun ueber Gotham City, oder Ajumako oder so.

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