Dienstag, 24. November 2009

Nummer 19

Zu den Gegebenheiten, die mir taeglich begegnen, gehoert auch die Dekoration der Fahrzeuge. In nahezu allen Trotros und Taxis sehe ich kleine Faehnchen per Saugknopf am Inneren der Frontscheibe angebracht. Die ghanaische Flagge darf dabei natuerlich nie fehlen, wirklich interessant wird es bei den zusaetzlichen Faehnchen, manchmal ist es nur eine, manchmal sind es bis zu vier weiteren. Faellt es meistens sehr leicht die Kombination der gezeigten Fahnen zu verstehen, gibt es auch Faelle in denen es sich nicht auf den ersten Blick erschliessen laesst. So zum Beispiel bei der Kombination USA - Saudi-Arabien - Indien, Enrico und ich erklaerten uns diese Zusammenstellung durch die auf Oel-basierende Beziehung zwischen den USA und den Saudis, waehrend Indien sich durch einen betraechtlichen Anteil von muslimischen Staatsbuergern qualifizierte, wodurch die Verbindung zu Saudi-Arabien hergestellt werden kann. Ob dem Besitzer des Fahrzeugs auch diese Verbindungen vorschweben kann ich nur schwer abschaetzen, er koennte auch ganz eigene persoenliche Verbindungen zu den drei Laendern haben. Weitere Nationalflaggen, die ich haeufig sehe, sind Suedafrika, Elfenbeinkueste, Israel und auch Deutschland. Neben den Faehnchen schmuecken meist noch einige Aufkleber von den grossen Vier des englischen Fussballs (ManU, Chelsea, Liverpool, Arsenal) die oftmals von Rissen durchzogene Frontscheibe. Motor- und Kofferraumhaube werden haeufig durch religioese Sprueche, Bibelzitate oder Jesus-Abbildern geziert, was auf glaeubige Menschen mit sanften Gemueter durchaus beruhigend wirken kann, wenn man wieder einmal mit halsbrecherischer Geschwindigkeit auf einer verschlungenen, schlagloch-uebersaeten Strasse dahinrast. Als besonders ironisch empfinde ich es den Spruch "Trust In God" auf Rueckscheiben zu lesen, denn angesichts des Zustands von Strassen und Fahrzeugen bleibt einem ja kaum etwas anderes uebrig als auf eine hoehere Macht zu vertrauen. Eine besondere Freude ist es bspw. wenn man auf der letzten Sitzreihe des Trotro platz nehmen moechte und ohne Vorwarnung die Rueckbank der Kofferraumhabe bedenklich nahe kommt oder die Seitenwand des Trotros beunruhigend instabil wirkt, und man befuerchten muss bei der naechsten scharfen Kurve mitsamt der Seitenwand herausgeschleudert zu werden. Aber um hier noch einmal deutlich hervorzuheben nicht alle Fahrzeuge sind in so schlechtem Zustand, vielmehr kommen wir oftmals in den Genuss in nahezu neue, mit angenehmen Lederueberzuegen ausgestatteten Trotros mit zu fahren. Private Fahrzeuge sind noch einmal eine ganz andere Angelegenheit, diese werden mit einer Vehemenz und Hingabe gepflegt, die so manchen deutschen Auto-Liebhaber beeindrucken koennte, so muss zum Beispiel unser Freund Emmanual alle zwei Tage den dreier BMW seines Vaters putzen, Insgesamt kann es manchmal erstaunlich sein, was fuer Fahrzeuge man zu Gesicht bekommt, teure Mercedes und BMW Limousinen, nicht weniger kostspielige Gelaendewagen von Toyota, Lexus oder auch Hummer. Wie in so vielen Aspekten des Landes spiegeln sich auch hier die Extreme wider, auf der einen Seite kaum fahrtuechtige oeffentliche Verkehrsmittel, auf der anderen die extravaganten Limousinen der Oberschicht.

Nun zum Wochengeschehen, den letzten Samstag verbrachten Bugs, Enrico und ich mit Einkaeufen fuer die Wohnung und Internetrecherche fuer unsere Benin-Togo-Reise in Cape Coast, dort trafen wir auch kurz Inken, die wir eigentlich eingeladen hatten uns nach Ajumako zu begleiten, was allerdings im Kurzmitteilungswirrwarr verloren ging, so dass wir leider ohne Inken zurueckkehren mussten. So vollzogen wir den Abend in Gesellschaft von Emmanual mit der ein oder anderen Runde Akpeteshie.

Was Enrico und mich aber nicht davon abhielt Emmanual und seine Familie am naechsten Morgen in die Kirche nach Mankessim zu begleiten. Die durch unser spaetes Fruehstueck ausgeloeste, leichte Verzoegerung der Abfahrt, glichen Enrico und ich durch unsere Kleiderwahl aus, denn einen sonntaeglichen Kirchbesuch empfanden wir als passende Gelegenheit zum ersten Mal unsere ghanaischen Gewaender zu tragen. Unser Schneider hatte zwar statt der vereinbarten acht Tage ganze 14 Tage gebraucht um sie fertigzustellen, aber dafuer war das Ergebnis umso erfreulicher. Unser Schneider, der mich nach wie vor Paul Scholes ruft, ist ein sehr eigenwilliger Charakter, er hat rot-lackierte Fingernaegel und wirft Bugs manchmal Handkuesschen zu. Wer nun schlussfolgert unser Schneider sei homosexuell unterliegt einem Irrtum, denn in einer homophoben Gesellschaft wie es die ghanaische ist, erscheint es mir praktisch ausgeschlossen. Der Gedanke der Homosexualitaet ist so abwegig, dass vielleicht gerade dadurch das Verhalten des Schneiders erklaert werden kann. Geruechten zufolge koennte es auch an Bugs' gutem Aussehen liegen, aber das sind wahrscheinlich nur Geruechte.... Genug von Schneidern und lackierten Naegeln, zurueck zur Kirche in Mankessim.

Der Gottesdienst zog sich ueber eine Laenge von zwei einhalb Stunden, natuerlich in feinstem Fante, was zur Folge hatte, dass meine Gedanken abdrifteten, sobald Emmanual einmal nicht die wichtigen Passagen der Predigt uebersetzte oder wieder geklatscht und gesungen wurde. Wie auch beim anderen Gottesdienst, den Enrico und ich besuchten, wurde mehrmals Geld gespendet, wofuer die Kollekte verwendet wird konnte ich allerdings bisher nicht in Erfahrung bringen. Interessant zu hoeren war, dass Emmanual, dessen Vater meinem Verstaendnis nach eine leitende Position innerhalb der Gemeinde einnimmt, den Kollekten sehr skeptisch gegenuebersteht, zu viel Geld sei mit der Kirche verbunden, das sei nicht der Zweck der Kirche.

Am Sonntagabend schauten wir gemeinsam mit unserer Gastfamilie die Uebertragung des Finales der FIFA U-17 WM in Nigeria, darin standen sich der Titelverteidiger und Gastgeber Nigeria und das Ueberraschungsteam aus der Schweiz gegenueber. Die Schweiz gewann das Spiel mit 1-0, was zu meiner Ueberraschung insbesondere unseren Gastvater erfreute. Gewoehnlich ist es so, dass ich hier einen sehr starken inner-afrikanischen Zusammenhalt erlebe, der sich ganz klar nicht nur auf Fussball beschraenkt. Eine Ausnahme scheint jedoch Nigeria zu sein, sowohl durch die Lektuere verschiedener Buecher ueber den afrikanischen Kontinent, als auch durch verschiedene Filme, habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Nigerianer nicht nur hier in Ghana und dem Rest Afrikas, sondern weltweit einen unvorteilhaften Ruf geniessen. Hier in Ghana geht es so weit, dass manche Ghanaer behaupten ohne die nigerianischen Einwanderer gaebe es keine Kriminalitaet. Dadurch ist auch zumindest teilweise die Reaktion unseres Gastvaters zu erklaeren, der bei Abpfiff sagte, er sei sich sicher die Nigerianer werden sich daneben benehmen, was sie aber, so weit ich es von den Uebertragungsbildern sehen konnte, nicht taten. Wirklich erstaunt war ich als unser Gastvater, der sich stets sehr warmherzig und fuersorglich praesentiert, angesichts weinender nigerianischer Spieler sich dazu hinreissen liess zu sagen, das sei was er sehen wolle.

Bereits am naechsten Tag sollten wir im Gespraech mit unserem Direktor in Ankukrom erneut auf Nigeria zu sprechen kommen, allerdings in einem positiveren Kontext. Er berichtete uns, dass er von 1978 bis 1984 in Nigeria gelebt hatte, da er dort als Lehrer einer Secondary School eine Stelle gefunden hatte. Uns gegenueber hob er hervor, dass damals die wirtschaftlichen Verhaeltnisse in Ghana so schlecht gewesen seien, dass viele Ghanaer in das damals besser gestellte Nigeria ausgewandert, und erst als sich Ghana ein wenig erholt hatte, zurueckgekehrt seien. Doch seitdem, so sagte er, habe sich viel veraendert, mittlweile verzeichne Ghana einen grossen Zustrom aus anderen Laendern Westafrikas, nicht nur Nigeria, sondern auch Benin, Burkina-Faso, Elfenbeinkueste und Togo. So scheint man anhand der Migration innerhalb Westafrikas die verschiedenen wirtschaftlichen Entwicklungen ablesen zu koennen. Demnach muesste sich, so prognostizierte es auch unser Direktor, die Immigration nach Ghana in den kommenden Jahren noch verstaerken, da die Oelfelder vor der Kueste Ghanas fuer einen zusaetzlichen Aufschwung sorgen sollten. Ob dies wirklich so eintritt, bleibt abzuwarten, da auch Nigeria, mit einer taeglichen Rohoelfoerdermenge von 2 Millionen ( 2 000 000 um es zu verdeutlichen) Barrel, eigentlich die Voraussetzungen hat um ein sehr wohlhabendes Land zu sein.

Dienstags hatte ich einen Termin beim Arzt der deutschen Botschaft, natuerlich in meiner Lieblingsstadt Accra. Zufaelligerweise musste auch Brian zur Botschaft um einen Brief abzuliefern, sodass ich nicht mit dem Trotro, sondern per Privatauto in die Hauptstadt gelangte. Den Arzt traf ich natuerlich nicht in der Botschaft an, sondern in einem separaten Gebaeudetrakt der sich als medizinische Anlaufstelle aller deutschen Staatsbuerger und -diener fuer ganz Westafrika herausstellte. Zu meinem Glueck war nicht viel los und ich konnte nach der ueblichen Wartezeit, die man aus deutschen Praxen kennt und die ich nach den Monaten in Ghana mit Leichtigkeit schultere, meinen Fall dem Arzt schildern. Das Gespraech verlief sehr positiv, sodass ich am Ende mit einer schriftlichen Erklaerung des Arztes, dass eine notwendige Operation in Deutschland durchgefuehrten werden muesse, aus der Praxis spazierte. Bereits auf dem Rueckweg nach Ajumako machte ich mir Gedanken bzgl. eines moeglichen Operationstermins, da allerdings vorher noch verschiedene Einzelheiten mit meiner Entsendeorganisation und der Versicherung geklaert werden muessen, waren meine Gedankenspiele vergebliche Liebesmueh.

Ein Gedanke laesst mich aber seit meinem Arztbesuch nicht mehr los, und zwar die Tatsache, dass ich mein Jahr hier aller Wahrscheinlichkeit unterbrechen muss um nach Deutschland zurueckzukehren. Dieser vorzeitigen Rueckkehr stehe ich momentan mit sehr gemischten Gefuehlen gegenueber, da ich von Anfang mit der mentalen Einstellung hierher gekommen bin Deutschland, meine Familie, meine Freunde, meine Heimat fuer ein Jahr mehr oder weniger vollstaendig hinter mir zu lassen. Zweifellos wuerde ich mich freuen meine Freunde und Familie wieder zu sehen, auch wenn der Anlass kein allzu freudiger ist, aber gleichzeitig habe ich das Gefuehl moeglicherweise meinen derzeitigen Entwicklungsprozess, der ganz natuerlich durch die verschiedenen taeglichen Eindruecke und Erfahrungen vorangetrieben wird, durch eine fruehzeitge Rueckkehr zu beeintraechtigen. Ich bin mir des selbstsuechtigen Kerns der diesen Gedanken innewohnt sehr bewusst, kann mich aber nicht von ihnen loesen. Eine verfruehte Heimkehr naehme mir einen grossen Teil der Wiedersehensfreude, denn in meinen Gedanken ist es entgegen besserer Vernunft ein gewaltiger Unterschied ob ich nach sieben oder zwoelf Monaten heimkehre. Jede Unterbrechung ist wie das Wort schon sagt auch ein Bruch, und das will sich einfach nicht in meine Vorstellung des Jahres als fortlaufende Einheit fuegen, es sollte ein Jahr sein, abgerundet, ganz, ohne Bruch, ohne Riss, ohne Bandanriss. Doch bereits waehrend ich diesen Eintrag verfasse, wandelt sich meine Geisteshaltung mit jedem Wort ein wenig, verstaendlich, dass ich mir mein Jahr als Einheit wuensche, aber das bedeutet doch nichts, die Realitaet sieht nun einmal anders aus, und daraus gilt es das Beste zu machen, wenn das bedeutet, ich muss fruehzeitig nach Deutschland, dann fliege ich nach Deutschland, wenn nicht, dann nicht, so einfach ist das. Meine persoenliche Entwicklung, davon bin ich ueberzeugt, wird daran keinen Schaden nehmen, vielmehr entdecke ich bei naeherer Betrachtung Vorteile fuer mich und meine Arbeit hier in Ghana, durch den kurzen Aufenthalt in Deutschland koennte ich Abstand nehmen, eine neue Perspektive gewinnen, mit neuen Ideen nach Ghana zurueckkehren. Aber noch liegt das alles in unwaegbarer Zukunft.

Mittwoch verbrachten wir unseren ersten Arbeitstag an der zweiten Schule (Abowinum). Um geeignete Kandidaten fuer unsere Kids Clubs zu finden, machten wir mit den Klassen drei, vier und fuenf eine simple schriftliche Frage-Antwort-Stunde, anhand derer wir am folgenden Tag unsere Kandidaten auswaehlten.

Donnerstags begleiteten wir unsere Schueler aus Ankukrom zu einem Sportturnier nach Enyan-Maim, welches nahe bei Mankessim liegt. Bei diesem Turnier traten mehrere Schulen des Distrikts in verschiedenen Sportarten gegeneinander an, jede Schule stellte pro Sportart eine Maechen- und eine Jungenmannschaft. Laut der Regeln handelt es sich um eine U-15 Veranstaltung, d.h. nur Schueler unter 15 Jahren duerfen daran teilnehmen, aber da auf Geburtsdaten hier kein Verlass ist, nahm sich die Turnierleitung eine zweifelhafte wissenschaftliche Formel zur Hand, die besagt, dass man wenn man unter 15 sei, das Gewicht maximal 53 kg betraege. Dies hatte zur Folge, dass der Torwart und ein Feldspieler unserer Jungenmannschaft nicht zugelassen wurden. Die Entscheidung mag zwar in diesem Fall den Regeln entsprechend gefallen sein, denn unser Torwart wog 60 kg, aber zum einen schien ungerechterweise keine andere Mannschaft Spieler von vergleichbarer Statur durch diese Regel zu verlieren und zum anderen ist die Regel an sich, mehr als grenzwertig, schlieslich kann man nicht einfach vom Gewicht auf das Alter schliessen oder anders herum. Die Fortsetzung des Turniers fand am Freitag statt, wobei wir am Nachmittag fruehzeitig nach Abowinum gingen um dort unsere erste regulaere Einheit mit dem Kids Club durchzufuehren.

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